seniorweb.ch, 15. April
Species rara: der strickende Mann
Auf der Welt leben zwei Arten Menschen: Jene, die stricken können, das sind die Frauen. Und jene, die dies nicht können, die Männer. Stimmt nicht ganz: Pascal Bösch kanns. Er strickt und
verkauft Socken.
Prolog, Dezember 1956: In der Schule musste der Zehnjährige Plätzli lismen, zehn Zentimeter im Quadrat. Sie misslangen mal mehr, mal weniger. Die Mutter verbesserte
die schiefen Dinger zu ordentlichen Patchwork-Teilen. Die Lehrerinnen nähten seine und jene der Klassen-Gschpänli zu Decken zusammen. Eine Hilfsorganisation verteilte sie an die Menschen,
die nach dem Ungarn-Aufstand in die Schweiz geflüchtet waren. Ob die Beschenkten sich freuten und ob die Gaben den Kalten Krieg beeinflussten, ist nicht bekannt. Der Drittklässler hiess Peter,
seine Mutter Steiger.
April 2021: Der Journalist trifft Pascal Bösch auf der Berner Münsterplattform. Jeden ersten Samstag im Monat ist hier Handwerkermärit. Ein schöner Ort. Aber jetzt
im April ist es ungewohnt kalt. Immerhin fördert die Bise den Umsatz. Pascal Bösch verkauft selbstgestrickte Wollsocken.
Pascal Bösch steht am Handwerkermärit jeden ersten Samstag im Monat auf der Berner Münsterplattform.
Wer schlichte schwarze Strümpfe will, verweilt allerdings vergeblich an Böschs Stand. „Ich will kreativ sein, Farbe ins Leben bringen“, sagt er. „darum sind alle meine Socken verschieden und
immer bunt.“ Er verkauft sie in den Grössen 36 bis 46. Ausserdem hat er Jogasocken und Kindersocken im Sortiment. Jogasocken sind kniehoch und haben ein Loch in den Fersen. „Damit man bei den
Übungen nicht rutscht“, erklärt er.
Trotz * I : _
Für dieses Jogaloch müsse er sich besonders gut konzentrieren, erfährt der Journalist. Ein Loch zu stricken, besser, rundherum ums Loch zu stricken, das ist für den lismenden Teil der Menschheit
bloss ein kleines Problem. Dieser strickende Teil, das sind die Frauen.
Und damit wirds heikel. In den Zeiten des Gendersternchens, des Binnen-Is und der Uni-Sex-Toiletten schickt es sich nicht, geschlechtergetrennte Zuordnungen zu machen. Aber: Die Welt ist
nicht so, wie sie sein sollte. Sie zerfällt ziemlich scharfkantig in strickende Frauen und Männer, die mit einer Lismernadel höchstens im verstopften Abfluss rumstochern können.
Pascal Bösch gehört zum kleinen Grüpplein strickender Männer und zum noch kleineren Häuflein jener, die dies gewerbsmässig machen. Wahrscheinlich ist er nicht der einzige. Aber ganz sicher ist er
ein seltenes Exemplar, der Mann mit dem bloss noch erahnbaren französischen Akzent. Pascal Bösch, 50, wohnt in Bösingen FR, aufgewachsen in Neuchâtel, ausgebildeter Bäcker/Konditor, heute zu 60
Prozent administrativer Mitarbeiter in einem Berner Spital.
Mit Youtube gelernt
„Stricken ist mein grosses Hobby“, sagt er. Das tönt nun etwas gar zu bescheiden. Denn: Bösch vertreibt sein Sortiment auch über seine Website www.socksbar.ch und wird von vier strickenden Frauen
unterstützt. Alle arbeiten ohne Strickapparat. „Etwa die Hälfte des Angebots stammt von mir“, versichert er.
Gesamthaft hat er rund 70 verschiedene Socken und Stulpen für Erwachsene und Kinder im Angebot. Fotos Peter Steiger/zvg
Die Grundlagen hat er im Handarbeitsunterricht gelernt. Beim „Handsche“ war zu Böschs Zeiten die Geschlechter-Apartheid bereits überwunden. Weitergelernt hat er später mit Youtube-Videos und
durch die Tipps von Strick-Expertinnen.
Unterirdisch tiefer Stundenansatz
Zum Schluss erklärt er dem Journalisten die Preise. Es ist dies ein Gebiet, das fast so heikel ist wie verkreuzte Maschen mit Zopfmuster zu stricken. 10 bis 15 Stunden arbeiten Pascal
Bösch und seine assozierten Damen an einem Paar Socken. Sie kosten 22 Franken. Nein, nicht bloss der Linke oder der Rechte, sondern zusammen. 22 Franken abzüglich die Wolle, alle anderen Kosten
und die Marge, das ergibt einen bodenlos tiefen Stundenansatz. Ist das nun Selbstausbeutung? Ja, vielleicht. Aber Hauptsache es macht dem Strickteam und den Käuferinnen und Käufern Spass.
Mehr unter: www.socksbar.ch