Berner Zeitung, 14.12.2011

 

Aus Steiger
Das Jammertal zwischen Gesäss und Oberschenkel

Joschka Fischer (63) joggt wieder. Lys Assia (87) singt wieder – erfolglos am Schlagerwettbewerb vom Samstag. Mit dem Läufer wie mit der Künstlerin verbinden mich Erlebnisse. Ich war mal Aushilfsbriefträger im Zürcher Kreis Enge, wo die Sängerin in den Sechzigerjahren wohnte. Statt die Post in den Kasten zu werfen, stieg ich jeweils in den dritten Stock zu ihr hoch und klingelte. Den Umweg machte ich, weil Frau Lys Assia berühmt war und bloss einen kurzen Morgenmantel trug. Ich, der 16-Jährige, war sehr beeindruckt.

Die Beine des deutschen Ex-Aussenministers interessieren mich bloss aus athletischer Sicht. Wie er treibe ich Sport. Und anders als bei der damals jugendlichen Lys Assia ist bei alternden Sporttreibenden die Kleiderfrage ein Problem. Genauer: im Fitness-Studio. Noch genauer: bei den Männern.

Er trug ein violettes enges Athletic- Leibchen, eines, bei denen die Oberarme frei sind, dazu kurze, nein Kürzesthosen, nicht gerade im Borat-Zuschnitt, aber doch so knapp, dass verblüffend grosse Gesässteile blank lagen. So hantierte der Mann in meinem Alter an den Geräten. Ein Extrembeispiel gewiss, andere treibens etwas zurückhaltender. Und Frauen haben sich und ihre Runzeln generell besser im Griff. Vor allem also bei sportlichen Senioren ist der Stoff der Stoff, aus dem die Albträume sind. Ein allzu grosser Teil von ihnen vergisst, wie alt sie sind.

Das waren die lustigen Abschnitte.

Jetzt folgt das schmerzhafte Kapitel. Nämlich: Die Alten haben Falten. Jene im Gesicht kann man als Reife schöndenken. Jene weiter unten hingegen tun wirklich weh. Damit niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst: Wenn man älter wird, schwabbelt der Bauch, auch wenn man dünn bleibt. Und es entsteht diese Grand-Canyon-tiefe Furche zwischen Gesäss und Oberschenkel. Man sieht sie normalerweise nicht. Als ich die Schlucht mit dem Handspiegel zum ersten Mal entdeckte, war ich nahe dran, einen Ganzkörperburkini zu erstehen.

Lys Assia wollte die Schweiz am Eurovision Song Contest in Aserbeidschan vertreten. Bei der Ausmarchung um diese Ehre flog sie am Samstag raus. Ob sie Punkte heimgebracht hätte, ist ungewiss. Dass sie faltenbedeckt gesungen hätte, ist zu hoffen. Joschka Fischer hat 1999 als Aussenminister die Schweiz besucht und nachweislich zwölf Kilometer an der Aare gejoggt. Dass er gesässbedeckt lief, ist verbürgt.