Berner Zeitung, 14.6.2011


Aus Steiger
Juhui, in Berlin wollen sie Geld von mir


Peter Steiger ist ehemaliger BZ-Redaktor und ging am 1. Juni in Rente


Ja, er hat mich umhüpft und um eine Spende angegangen, judihui. Der junge Mann in der beschrifteten Windjacke sammelte in Berlin für Greenpeace. Er engagierte sich in der heute üblichen Art fürs Wohl der Welt: mit betont forschem Auftritt und vollem Körpereinsatz. Die Spendenaktivisten machen das überall so, in Berlin wie in Bern.


Bloss: In Bern wollen die Sammelakrobaten längst kein Geld mehr von mir. Bei uns glauben die fröhlichen Einpeitscher, dass Senioren weder den Regenwald noch Afrika retten wollen. Sie lassen uns links liegen und umtanzen bloss U-60. Hier hingegen, im Berliner Quartier Prenzlauer Berg, sind wir Senioren noch wer.


Das ist so, weil am Prenzel Rentner so selten sind wie Eisblumen im Sommer. Das Quartier verändert sich rasend schnell. Vor der Wende wohnten DDR-Dissidenten hier. Dann nutzten arme Kreative die verrotteten Häuser. In die sanierten Bauten zogen reiche Kreative, Architekten, Designer ein. Aus schwer zu durchblickenden Gründen blieben unglaublich viele Kinder hängen. Nirgends sonst in Berlin hat es so viele wie auf dem Prenzlauer Berg, so viele Kinderwagen, Kitas, Kindertheater, Frühyogakurse, Läden für Baby-Feng-Shui oder postnatales Ayurveda.


Nur eines hat es nicht: Senioren. Wer Glück hat, sieht einen versprengten Grossvater als Mama-Zudiener beim Kinderwagenschieben. Aber sonst: Graue Haarschöpfe fallen auf wie bunte Hunde. Seit zwei Wochen bin ich pensioniert. Beim Abschiedsapéro fragte mich ein Kollege, ob ich mich nun als ewiger Urlauber fühle. Ich hatte keine schlaue Antwort. Jetzt weiss ich wenigstens, was ich in den nächsten Ferientagen in diesem Quartier bin: Quoten-Opa.


Kurz nach dem tanzenden Sammlerderwisch drückte mir eine junge Frau einen Flyer für eine After-Hour-Party in die Hand. In Bern bin ich für solche Flugblattverteiler seit langem nichts als reine Luft. Ich schaute der Schönen verliebt in die Augen und bedankte mich überschwänglich. Na ja, hingegangen bin ich dennoch nicht.