Berner Zeitung; 17.10.2011
Aus Steiger
Böser grauer Panther attackiert unschuldiges süsses Bambi
Die Hollywoodfilme aus den Fünfzigerjahren zeigen ziemlich genau, wie wir Journalisten der alten Schule arbeiten: In Hosenträgern und schmuddeligem weissem Hemd sitze ich am Pult und zünde mir
eine Lucky Strike an. «Wir brauchen einen Knüller, sonst stehst du morgen auf der Strasse», brüllt der Chef durch den Laden. Ich kralle mir aus der Schreibtischschublade die nur noch halb volle
Flasche Johnnie Walker und hämmere in die schwarze Schreibmaschine den Text rein, den Artikel über den brutalen Gewalttäter, der beim Engehaldenwäldli einen jungen Mann zusammengeschlagen
hat.
Der Gewalttäter bin ich. Wenigstens in der Fantasie. In der letzten Kolumne beschrieb ich einen echten Vorfall: Ein junger Besoffener rüpelte mich an. Und ich ergänzte diese Wirklichkeit mit
einem Gedankenspiel: Ich malte mir aus, wie der reale Rüpler ausgedachte Prügel erhielt.
Einigen Lesern hat das gar nicht gefallen. Per Onlinekommentar teilten sie mit, dass dies ein Gewaltaufruf sei. Einer empfahl mir eine Psychotherapie, ein anderer sah mich als Initianten einer
Bürgerwehr. Bei den Ultras der Gewaltlosigkeit fällt auf, dass sie gern knüppeldick austeilen. Eine Kommentatorin fand den Text «zum Kotzen», einer beurteilte ihn als «Schrott».
Einen anderen Ansatz hatte die Leserin, die mir riet, mich mit dem alkoholisierten Jungmann auszusprechen. «Vielleicht hat er ja tiefsitzende Probleme», ahnte sie. Hallo Polizei, wenn im Stadion
wieder mal besoffene Pyro-Deppen am Werk sind: nicht das Spiel abbrechen, sondern nachfragen, ob das Mami zu wenig lieb war. Böser grauer Panther attackiert unschuldiges süsses Bambi. Deshalb
sind Senioren unbeliebt. Das zeigt auch das Gemeinde-Ranking der «Weltwoche». Cham hat gewonnen, Reconvilier im Jura belegt den Schlussrang. Unter anderem beeinflusst die Überalterung die
Klassierung. Wo es viele Betagte hat, wird es ungemütlich: Seniorenfluten und Greisenschwemme senken die Lebensqualität.
Da müsste man doch was schreiben. «Wir brauchen einen Knüller, sonst streich ich dir morgen die Rente», brüllt der Chef. Ich zünde mir eine Zigarette an, die letzte im Päckli. Ich greif zum
Whisky. Doch jetzt ist die Flasche leer.