Berner Zeitung, 28.12.2011

 

Aus Steiger
Grand Cru, vin de table oder Exit:

Hauptsache, ein guter Abgang


Tschüss Weihnachten, hallo Silvester. Beides sind schöne Anlässe, um über Drogen zu reden. Nein, nicht über Koks, Heroin, Hasch und anderes verbotenes Zeugs. Meine Marihuana-Erlebnisse sind eh nicht berauschend. Mal ein Pfeifchen da, mal ein Tütchen dort. Halt das, was man früher als Freizeithippie glaubte, tun zu müssen.

Es geht um legalen Stoff, genauer um Alkohol, ganz genau um Wein. An Weihnachten entkorkt man Hochklassiges, an Silvester ebenso, Version Grand Cru oder höher. Ich muss allerdings gestehen, dass mich beim Wein weniger der blumige Abgang oder die dezente Muskatnote interessieren, sondern mir gefällt, dass er die Stimmung hebt, die Sorgen vertreibt und dass er in der Vollvariante zuputzt. Ich nehme an, dass viele Mittrinkerinnen und -trinker ebenso empfinden.

Die Weindegustatoren schwurbeln mit der zarten Finesse, der schmelzigen Frucht und den mineralischen Anklängen. Sie verkosten so an den wirklichen Bedürfnissen der Nutzer vorbei. Die meisten wollen nur eines wissen, nämlich, wie der Wein einfährt. «Nach einer Flasche Château Mouton Rothschild sieht die Welt rosiger aus als nach 7 Deziliter Magdalener», wäre eine hilfreichere Bewertung als das hochgelobte samtene Bouquet.

Das hat einiges mit den Senioren zu tun. Wenn sie nicht suchtkrank sind, können ältere Menschen mit Rauschmitteln besser umgehen als Junge. Wer mit 60 zu trinken, kiffen oder koksen anfängt, wird weniger aus der Bahn geworfen, als wer mit 20 einsteigt. Psychisch: Weil er mehr erlebt hat und gelassener ist. Physisch: Weil Leber, Herz und Lunge in den wenigen Restjahren nicht so viel Zeit zum Serbeln haben.

Ob mit Vin d’Algérie einen Volksrausch oder mit Baron de Milon Pauillac nobel vernebelt: Hilfreich sind die Alkoholpromille in den letzten Lebensjahren oder -monaten eh. Meine verwitwete Mutter musste nach Jahrzehnten in der eigenen Wohnung ins Chronischkrankenheim. Betreuung und Pflege waren gut, die Leute wirklich lieb. Ein Alltagsschicksal und trotzdem schlimm, sehr schlimm. Nach Jahrzehnten in der eigenen Wohnung in einem mit Gitter gesicherten Spitalbett dem Tod entgegendämmern, ist ein überaus trauriger Abgang.

Sollte mir das Gleiche passieren, will ich den Schrecken der Endzeit mildern – egal ob mit Château Petrus Pomerol, mit vin de table oder mit Exit: Hauptsache, ein guter Abgang.