Berner Zeitung, 31.5.2011
Aus Steiger
Wenn Ü-60 draufsteht, ist Ü-8o drin, mindestens
Peter Steiger, Noch-Redaktor
«Seniorenfitness 50 plus» hiess der Kurs. Genau das, was ich brauche, dachte ich. Und ging hin. Einmal und nie wieder.
Schon in der Garderobe beim Umziehen wurde es mir gschmuech. Die Herren trugen auch im Mai lange Unterhosen, weiss gerippt. Tatsächlich, die gibt es noch. Dann spielten wir eine Art Sitzball, dann gabs etwas mit farbigen Bändern. Alles mit Musik. André Rieux. Das ist der mit dem Zuckerguss, äh, mit der Geige.
Wirklich, ich finds super, dass sich Betagte sportlich bewegen. Gut auch, dass sie nicht Rugby trainieren oder von Brücken springen. Nervig ist bloss, dass solche Angebote stets falsch angeschrieben sind. Fitness 50 plus heisst Altersturnen und bedeutet, dass keiner unter 70 ist.
Die Werber haben herausgefunden, dass wir Alten jung sein wollen bis ins Grab. Darum etikettieren sie ihre Angebote wenn möglich ohne Altersangaben. Und wenns nicht anders geht, schummeln sie die Zahl um 20 Jahre runter. Wenn Ü-60 draufsteht, ist Ü-80 drin, mindestens. Und wenn jemand 70-Jährige anspricht, kann das nur ein Bestattungsunternehmen sein.
Etikettenschwindel verbindet Seniorenfitness 50 plus auch mit den jugendgefährdenden Schwarzweissfilmen der Sechzigerjahre. Als 15-Jährige haben uns jene Filme am meisten angezogen, die mit mindestens 16 oder 18 angeschrieben waren. Die meisten boten dann doch nicht das, was wir uns erhofft hatten. Die blutten Frauen waren nur ganz kurz zu sehen.
Ist da noch was? Ja, heute, am 31.Mai, ist mein letzter Arbeitstag. In den vergangenen Tagen fühlte ich mich wie vor den grossen Ferien: ziemlich viel zu tun und zu ordnen. Das grosse Psychogerumpel blieb aus. Aber ein bisschen rumort es mental in den Eingeweiden schon. Als ich das Pult leer geräumt habe etwa. Aha, der Abschied, aha, die letzte Runde beginnt.