Berner Zeitung, 19.11.2012


Als junger Mann glaubte ich, dass Alte stinken

 

Als ich jung war, mochte ich alte Leute nicht. Sie redeten seltsam, sie bewegten sich seltsam. In meiner Vorstellung waren sie schmutzig und stanken. Sie verstanden die Welt nicht mehr und hatten keine Ahnung, was uns Junge beschäftigt.


Der progressive Jazz und das Dixieland-Buch. Ich interessierte mich damals für progressiven Jazz. Ich spielte Saxofon und produzierte mit vier, fünf Kollegen sehr zusammenhanglose und meist sehr schrille Töne, die wir aber für visionär hielten. Meine Eltern schenkten mir ein Buch über Dixieland-Jazz.

 

Das grosse Schwarze und das kleine Schnelle. Heute sind die Differenzen kleiner, und die Verständigung ist besser. Ja, ich weiss, die Technik. Zu Hause hing das grosse schwarze Telefon im Korridor. Heute berechnet mir mein iPhone in Sekundenbruchteilen den Weg nach Timbuktu, einschliesslich Maut und Tankstellen.

 

Das Tränengas und die Pille. Trotzdem ist der Abstand kleiner als jener zwischen uns Babyboomern und unseren Eltern. Das hat damit zu tun, dass wir urbanen Jungsenioren ein Leben geführt haben, das sich unsere Vorfahren noch gar nicht vorstellen konnten. Wegen Drogen vergass ich auch schon mal, in welchem Zug ich sass. Wegen der Pille führte ich ein sportliches Sexleben. Wegen der Globus-Krawalle wusste ich, wie man sich gegen Tränengas schützt. Wegen der Ostermärsche hatte ich eine geheimpolizeiliche Fiche.

 

Der Aktivdienst und das Stoppsignal. So zusammengestellt, tönt das dramatisch. War es aber nicht. Ich war ein recht angepasster, eher ängstlicher Mann. Sich so zu verhalten, war Standard. Die Erlebniswelt meiner Vorfahren hingegen gipfelte in Aktivdienstschwärmereien, Landi-39-Erinnerungen und dem Überfahren eines Stoppsignals.

 

Der Irrtum und die fatalen Folgen. Wir Senioren sind näher bei der jungen Generation, als die Alten es damals waren, als wir noch jung waren. Das ist mein Eindruck. Dummerweise lässt er sich nicht beweisen. Möglicherweise haben auch meine Eltern gedacht, dass sie ihre Kinder prima und viel besser verstehen als die vorherige Generation. Das wäre fatal. Als ich jung war, vermutete ich, dass alte Leute schmutzig sind. Muss ich jetzt, wo ich selber alt bin, annehmen, dass die Jungen auch denken, dass ich stinke?