Neulich beim Velomech. Ich hatte mein Problem vorher telefonisch angekündigt: «Weiss du, die Scheibenbremsen quietschen.» Ich kannte den Mann nicht, aber unter Bikern ist man per Du. «Ja, klar, brings morgen vorbei», bestätigte er. Anderntags dann: «Ah, Sie sind der Mann, der gestern angerufen hat.»
Wie man in den Wald ruft, so tönt es heraus, sagt man. Stimmt nicht. Wenn ein alter, äh, Bock ruft und im Wald diese jungen Hirsche und Bambi sind, tönt es anders heraus. Das Du-du-Gleichgewicht stimmt nicht mehr. Natürlich, der junge Velomech siezt mich nicht, weil ich ihm zuwider bin, sondern weil er gut erzogen ist, ehret das Alter. Dass ich mich nicht geehrt, sondern mich dank der Sie-Keule ausgestossen fühle, ist nicht sein Problem. Sondern meins.
Selten, wirklich ganz, ganz selten, kann Höflichkeit unpassend sein. Wenn man als rüstig-fitter Rentner einen Sitzplatz im vollbesetzten Bus angeboten bekommt zum Beispiel. Oder wenn einen die herumhüpfenden penetrant fröhlichen Spendensammler auf dem Bahnhofplatz nicht beachten und nur Junge um eine Patenschaft für den WWF, eine Spende für Amnesty oder einen Beitrag für Greenpeace bitten. Dialoger heissen diese Leute. Sie haben einen mies bezahlten Stressjob. Möglicherweise würde ich aus purem Mitleid was geben.
Neulich neben der Schütz. Ich wartete spätnachts auf den 21er-Bus. «Hey, wosch Coci?», sprach mich der Mann von hinten an. Und als ich mich umwandte: «Sorry, ha gmeint, dr suechet öppis.» Coci ist der Strassenname für Koks, Kokain. Es gibt ja zum Glück noch Leute, die das nicht wissen. Die Werbeindustrie entdeckt die Senioren. Sie haben Geld und wollen dazugehören. Bis zu den Dialogern und Dealern ist dies noch nicht durchgedrungen. Aber ins Gastrobusiness.
Denn neulich im Szenelokal. «Willst du ein kleines oder grosses Bier?», fragt mich die Kellnerin. Und zu meinem Gegenüber: «Was soll ich Ihnen bringen?» Da kommt doch Freude auf. Liegts an meinen roten Hosen oder an der kecken Mütze? Anyway, sage ich mir voll easy. Hauptsache, ich gehöre dazu. Die Erkenntnis folgt später. Die Kellnerin hat mich nicht geduzt, weil sie mich als ihresgleichen akzeptiert. Sondern weil sie mir eine Freude machen wollte. Aus Gnade.