Berner Zeitung, 12.8.2013


Im Krematorium


Durch das Guckloch des Ofens sehe ich erst nur das Feuer. Dann erkenne ich einen Schädel und die Knochen des Brustkorbs. Oben sind sie bereits verbrannt. Weiter unten bei der Wirbelsäule widerstehen sie noch den Flammen.


Das Feuer. Ich habe das Krematorium beim Berner Bremgartenfriedhof besucht. Vorher war ich nervös. Ich nahm an, dass mich der Anblick eines brennenden Toten schockieren würde. Tatsächlich war ich berührt, aber nicht verstört. Flau wurde es mir, als ich jene grauen Teile sah. Erst hielt ich sie für halb verglühte Kohlenstücke. Dann bemerkte ich, dass es Hüft- und Knieprothesen waren.

 

Die Gedanken. Implantate sind das, was von einem verbrannten Körper übrig bleibt. Eine holländische Firma schmilzt das wertvolle Metall ein. Daniel Kolly erklärt mir das. Er ist der Betriebsleiter des Krematoriums. Ein besonnener Mann, ein Techniker. «Ich schalte abends ab», sagt er. Und: «In meinem Alter denkt man schon daran, dass man irgendwann auch mal hier endet.»

 

Der Abschied. Wie Herr Brügger zum Beispiel. Name geändert. Der alte Mann liegt aufgebahrt zwischen Blumen in einem Kühlraum. Er trägt einen schwarzen Anzug und ein weisses Hemd. Auf der anderen Seite der Glasscheibe haben sich seine Angehörigen gestern von ihm verabschiedet. Herr Brügger sieht friedlich aus, wächsern. In einigen Stunden werden ihn die Angestellten des Krematoriums auf einem Wagen zu einem der zwei Öfen schieben.

 

Die Öfen. Einer der beiden hat eine deutlich grössere Türe. «Wir haben immer mehr sehr korpulente Verstorbene», sagt Daniel Kolly. Herr Brügger gehört nicht zu ihnen. Die kleinere Tür wird sich öffnen, der Sarg hineingleiten. Das Feuer entflammt erst, wenn sich das Metalltor wieder geschlossen hat.

 

Die Asche. Während einer Stunde und bei einer Temperatur von rund 900 Grad wird der verstorbene Herr Brügger zu Asche. Am Schluss mahlen die Mitarbeiter des Krematoriums die noch verbliebenen festen Knochenreste zu Pulver. Die Urne mit der Asche kommt auf den Friedhof, oder die Trauernden nehmen sie mit. Anders als etwa in Deutschland können die Hinterbliebenen bei uns über die Überreste frei verfügen und sie gar pietätlos als Abfall entsorgen.

 

Die Anlage. Das Berner Krematorium hat im öffentlichen Bereich eine etwas angejahrte Würde. Hinten, wo der Mensch zu Asche wird, ist es ein technischer Betrieb, sauber und aufgeräumt. Die mit Gas gespeiste Anlage erinnert an die Heizung einer Überbauung. Nein, es riecht nicht nach verbranntem Fleisch.

 

Das Wetter. «Zwei, drei Tage nach Wetteränderungen haben wir mehr zu tun», sagt Daniel Kolly zum Abschied. In der vergangenen Woche hat Regen den Hochsommer unterbrochen. Heute laufen die Öfen mit Volllast.