Berner Zeitung, 2.12.2013
Das fröhliche Totenbett
Anderthalb Dutzend Mails und drei lange Gespräche: Die letzte Kolumne hat mir so viele Zuschriften eingetragen wie kaum eine andere zuvor. Auch wenn viele Reaktionen happig aufs Gemüt drückten,
haben mich alle gefreut.
Damals berichtete ich über die letzten Monate meiner Mutter im Pflegeheim. Die alte Frau verstummte, weil sie zusehends die Verbindung zur Aussenwelt verlor. Ich verstummte, weil ich nicht wusste, was sie verstand oder verstehen wollte. So schwiegen wir beide ihrem Tod entgegen.
Einige Mailverfasserinnen, es meldeten sich nur Frauen, berichteten von ähnlichen Erfahrungen. Andere beschrieben ihre Angst, den letzten Lebensabschnitt im Pflegeheim verbringen zu müssen. Und
drei kritisierten, dass der Kanton bei der Langzeitpflege sparen will.
Als einzige negative Reaktion erhielt ich ein Mail aus einem Pflegeheim. Eine Kaderfrau beanstandete, dass ich verschwiegen hätte, dass in Heimen oft eine gute, ja fröhliche Stimmung herrsche. Und dass ich mit meinem Ausdruck «Rollstuhlgeschwader» die Betagten beleidige.
Das fröhliche Pflegeheim: Stimmt, das gibt es, ich habe das selbst erlebt. Aber dass ich mit dem «Rollstuhlgeschwader» die Würde bombardiere, nein, dagegen wehre ich mich. Ironie kennt fast keine Grenzen. Um noch einen draufzusetzen: Ich habe auch das fröhliche Totenbett erlebt. Das sagt sich leicht. Drum will ich es mit einer wahren Geschichte illustrieren.
Halt, da gilt es vorher noch ein Zitat einzuflechten. «Ein Gutes hat das Sterben, man muss nicht extra dafür aufstehen», das soll der englische Autor Kingsley Amis gesagt haben. Erst wusste ich nicht, ob ichs lustig finden sollte. Dann entschloss ich mich zu lachen. Neben Galgenhumor gibt es auch Totenbett-humor.
Die angekündigte Geschichte: Vor einigen Jahren besuchte ich in einem Sterbehospiz für eine Reportage Frau Nievergelt (Name geändert). Es ging ihr schlecht, sehr schlecht. Sie hatte nur noch wenige Wochen oder Monate zu leben. Gerda Nievergelt hatte Lungenkrebs. Trotzdem rauchte sie. Dort, wo sie durfte, paffte sie unablässig. Frau Nievergelt wollte für das Gespräch ein Honorar.
Als ich nicht darauf einstieg, begnügte sie sich mit zwei Stangen Zigaretten. Fünf Wochen später schickte mir das Heim ein Paket mit sechs Packungen Marlboro. Auf der beigefügten Notiz las ich,
dass Frau Nievergelt gestorben sei. Sie habe mir die ungebrauchten Zigaretten hinterlassen. Mit dem besten Dank für das amüsante Gespräch.