Berner Zeitung, 16.6.2014
Alte sind wie Atommüll immer noch aktiv
Mit den ausgedienten Alten ist es wie mit den verbrauchten AKW-Brennstäben. Niemand will sie. Aber weil sowohl der Atommüll wie auch die Senioren nun halt mal da sind, möchte man sie wenigstens
möglichst weit weg haben. Die dementen Betagten zum Beispiel in Thailand. Dort ist die Pflege billiger.
Die zweite Gemeinsamkeit: Uran ist nach dem Einsatz immer noch aktiv. Senioren auch. Anders als der Atomschrott sind sie zumindest vorläufig noch kein Fall für die Endlagerung. Nach der
Einwanderungsinitiative klagt die Wirtschaft, dass bald Fachkräfte fehlen. Tatsächlich verabschieden sich bereits nächstes Jahr bei uns und in den Nachbarländern mehr Beschäftigte in die Rente,
als junge Leute nachrücken.
Die Unternehmen haben dagegen vorerst nur ein Rezept. Sie buhlen um die Gunst der einschlägig gut ausgebildeten jungen Leute. Dass routinierte und motivierte Senioren die Lücke füllen könnten,
kam bisher niemandem in den Sinn.
Für begehrte Berufsanfänger gibt es Einsteigermodelle. Warum gibts für die Alten keine Aussteigermodelle? Mit reduzierten Pensen zum Beispiel. Nicht alle Juristinnen wollen gärtnern. Nicht alle
Ingenieure wollen Kinderwagen schieben.
Teure Alte durch billige Junge zu ersetzen, spare Lohnkosten, heisst es. Ach ja? Hat denn überhaupt jemand mal nachgefragt, ob über 65-Jährige, ausgestattet mit AHV und Rente, nicht doch bereit
sind, günstiger zu arbeiten? Es müssen ja nicht Dumping-Senioren sein.
Als Arbeitskräftereservoir hat uns die Wirtschaft noch nicht entdeckt. Als Zielgruppe für Werbung schon. Ich bekomme ungefragt Angebote für Hörgeräte, TV-Sessel und Golfurlaub. Manchmal geht es
allerdings daneben. Während der Ferien habe ich in einer deutschen Regionalzeitung eine Annonce für ein Navigationsgerät entdeckt. «Sie haben Ihr Ziel erreicht», hiess es dort. Eigentlich ein
guter Titel für Navi-Werbung. Bloss: Die Zeitungsmacher hatten das Inserat gleich neben den Todesanzeigen platziert.