Berner Zeitung, 21.9.2015
Gipfelrast mit Zucchini-Püree geht nicht
Kürzlich war ich wandern. In den Bergen. Das war anstrengend. Weil die Berge steil sind, die Schweizer Berge ganz besonders. Deshalb war ich abends im Zug nach Hause müde. Dass man nach Oberer
Dünde und Vorderer Bütlasse schlaff ist, interessiert eigentlich niemanden. Aber ich brauche diesen Vorspann, weil er zur zweiten Geschichte überleitet, nämlich jener über die Unvereinbarkeit der
Gipfelrast mit karamellisierten Schwarzwurzeln.
Ab Kandersteg fuhr ich also im BLS-Lötschberger nach Bern. Neben mir sass ein Mann, den ich flüchtig kannte, ein Hobbykoch. Eigentlich wollte ich nach dem Aufstieg zu Schafläger und Co. nur noch
belämmert aus dem Fenster schauen. Doch der Schwingbesenakrobat erzählte so, wie man Rahm schlägt: unablässig.
In Frutigen behandelte er die Komplexität des Flambierens. In Mülenen bezeichnete er das Blanchieren als Challenge. In Spiez betonte er, dass er nur Olivenöl extra vergine in seine Nähe lasse. In
Thun, nein, halt, bereits im Gwatt, wies er darauf hin, dass er jetzt gerade an Zucchini-Püree mit Minze arbeite. Nach Uttigen quittierte ich erstmals mit einem gelangweilten Aha.
Kurz vor Kiesen ergänzte ich meine Reaktion mit einem schlaffen Soso. Worauf er nach Wichtrach über die Vorzüge von karamellisierten Schwarzwurzeln mit Äpfeln referierte. Es war nicht so, dass er mir unsympathisch gewesen wäre. Aber seine Gourmetgeschichten interessierten mich nicht.
Vor Münsingen stoppte er kurz. Und ich beschloss, offensiv zu werden. Ich erzählte ihm von den Schönheiten der Berge, vom strahlenden Licht in den Höhen, von kühlen Schluchten und vom
Seelenfrieden bei der Gipfelrast. Nach Rubigen sagte mein Gegenüber Aha. Als wir durch Gümligen fuhren, meinte er Soso.
In Ostermundigen schwiegen wir. Und wunderten uns wohl beide, dass wir die gleiche Sprache sprechen und zur gleichen Zeit im gleichen Zug durch das gleiche Land nach Hause fuhren. Und trotzdem in
zwei derart verschiedenen Welten leben, dass wir einander nichts zu erzählen hatten. Bei der S-Bahn-Station Wankdorf waren wir froh, nun bald in Bern zu sein.