Berner Zeitung; 18.5.2016
Über die Liebe, Zahnpastatuben und andere Druckmittel
Jetzt ist Mai, der Wonnemonat. Das merkt man an den Katzen, die zurzeit ihr Bedürfnis nach intensivierter Gemeinsamkeit weiträumig hörbar verkünden. Das merkt man auch an Bekanntschaftsanzeigen,
mit denen Männer und Frauen das gleiche Bedürfnis online oder gedruckt noch viel weiträumiger streuen. Damit sich niemand Hiesiger betupft fühlt ein Beispiel aus einem deutschen Datingportal:
«Attraktiver Mann, 55, prom. Akademiker, selbstständig und erfolgreich, sucht attraktive und kluge Frau mit Interesse an Hölderlin, Hegel und Heidegger.»
Nun gut, lieber unbekannter prom. Mann: Hölderlin, Hegel, Heidegger und weil Sie ja Philosophen und Dichter mit H besonders mögen, Hellingrath, den haben noch viel weniger Leute gelesen oder
verstanden, also all diese Hö-Hehehe-Denker können Sie vergessen. Weil sie für eine Beziehung nicht wichtig sind.
Sondern die nervtötenden Alltagsunsitten: Ob er nach dem Zähneputzen die weissen Spritzer wieder abwischt. Ob sie die Tassen in die Spülmaschine mit der Öffnung nach unten einräumt. Ob er beim
Staubsaugen auch in den Ecken saugt. Ob sie die Unterwäsche ordentlich entsorgt. Und, wir sind hier ja ganz unter uns: Ob sie oder er im Bett, nein, nicht das, sondern wie sagt man, die Winde,
nun ja, wir wissen, was gemeint ist.
Denn das sind die wirklich wichtigen Parameter fürs langjährige Liebesglück. Ich spreche aus eige-ner manchmal leidvoller Erfahrung. Nicht Heidegger, Hegel, Hölderlin entscheiden, sondern wer den Ghüdersack vors Haus trägt.Potenzkater Mauz kann jetzt getrost Brunstprinzessin Mieze anmaunzen. Weder sie noch er müssen in ein paar Jahren darüber streiten, wer das Treppenhaus putzt.
Aber wir Menschen sind dem höheren verpflichtet und streben nach Nachhaltigkeit. Wenn der prom. Herr wirklich Wert auf eine stabile Verbindung legt, sollte er die eh ungelesenen Philosophen
beiseitelassen und Klartext schreiben: «Suche Frau, die weiss, wie man Zahnpastatuben ausdrückt.»