Berner Zeitung, 8.8.2016
Schulden machen glücklich
Jetzt sind die Hypotheken nochmals billiger geworden. Auch dank Brexit. Warum das so ist, weiss ich nicht, muss ich auch nicht kapieren. Wissen muss ich bloss eines: dass künftig auch
Negativhypozinsen möglich sind. Stand in der Zeitung. Auch in dieser. Wenn Hypozinsen negativ sind, ist das positiv: Ich bekomme Geld, wenn ich Schulden habe.
Noch mehr Geld bekomme ich, wenn ich noch mehr Häuser, noch mehr Hypotheken und noch mehr Schulden habe. Dann habe ich zwar zu viele Häuser oder Wohnungen. Aber ich kann sie ja wegwerfen. Wie
Einmalgrills (jetzt gerade aktuell), Papiernastücher (bald wieder aktuell) oder Babywindeln (immer aktuell).
Ob Grills, Nastücher oder Windeln dreckig sind und ich sie deshalb wegwerfen muss, erkenne ich leicht, vor allem bei den Windeln. Schwieriger ist es bei den Häusern oder
Wohnungen. Woran erkenne ich, ob sie dreckig sind und ich sie deshalb wegwerfen muss? Sehr zuverlässig ist der Lichttest.
Wenn die Fensterscheiben so schmutzig sind, dass man auch tags die Lampen andrehen muss, ist der Wegwerfmodus erreicht. Ebenso, wenn man für den Weg über die Müllberge Steigeisen braucht, die
Mäuse Schlange stehen, die Kakerlaken winken und Wanzen Partys feiern. Fort mit der Wohnung, wenn im Bad der Schimmel reitet, im Garten die Schmutzfinken trällern, im Kleiderschrank die Motten
motten.
Überreif ist das Logis, wenn im Kühlschrank Lebensmittel mit Verfalldaten aus dem Mittelalter sind, im Schuhschrank Fusspilze wachsen, die Archäologen auf dem Balkon nach Knochen
buddeln, man im Portemonnaie Lire oder im Schreibtisch ein Bankbüechli findet. Und ganz eindeutig: wenn auf dem Globus Amerika noch nicht drauf ist.
Solche Wegwerfwohnungen und häuser muss es in der Region ganz viele geben. Wie sonst ist der wahnwitzige Immobilienboom zu erklären? In der Schweiz sind zurzeit etwa 70 000
Wohnungen im Bau.