Berner Zeitung, 10. November 2017
Dem Schönbeck sein Milljöh
Uwe Schönbeck und Pianist HC Bünger flanieren durch das Berlin der Zwanzigerjahre. «Nur nicht unterkriegen lassen» heisst ihr Stück in der Cappella. Stimmt: Die zwei legen richtig
los.
Erwähnen wir es gleich am Anfang, dann können wir es abhaken: Das Porträt von Heinrich Zille und die Tafeln mit dessen Zeichnungen des Berliner Milljöhs hätte es nicht gebraucht. Die Schaubilder
wirken lehrerhaft. So, das wars, fertig gemäkelt.
Denn sonst ist der Abend ein reines Schönbeck-Vergnügen. Will heissen: Man hängt ihm an den Lippen, wenn er rezitiert, spitzt die Ohren, wenn er singt, und freut sich, wie der, nun ja, etwas
beleibte Mann auf der Bühne agiert. Jawohl: Er tanzt Charleston, das ist die Wackelei mit Händen, Füssen und Knien. Der Schönbeck ist ganz und gar in seinem Milieu, äh, Milljöh.
Der Kerl und der Distinguierte
Uwe Schönbeck und HC Bünger präsentieren in der Berner Cappella «Nur nicht unterkriegen lassen», Lieder, Couplets und Texte aus dem Berlin der Zwanzigerjahre. Die beiden bilden ein zwar gängiges, aber immer wieder amüsantes Zweierset: der Kerl und der Distinguierte. Da ist der gediegene Herr Pianist mit dem Frack am Flügel, und da ist der Mann von der Strasse mit der Schiebermütze und der vorlauten Schnauze. Tausendsassa Schönbeck kennt man seit vielen Jahren als Sänger, Schauspieler, Rezitator, Unterhalter. Bünger ist 2. Kapellmeister am Berner Stadttheater, das HC steht für Hans Christoph.
Er erfreut das Gemüt, weil er sich selbst so nett auf die Schippe nimmt.
Schönbeck hat schon mehrere Einmannprogramme in der Cappella gezeigt. Mal gings um Heinrich Heine, mal um Joachim Ringelnatz, mal um Spaghetti. Jetzt sind die Goldenen Zwanziger in Berlin an der
Reihe. Es war jene Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und der grossen Wirtschaftskrise 1929. Den Reichen gings gut, der Mittelstand holte auf, die Armen hungerten und froren. In Berlin erlebten
Künstler, Theater, Filmer, Revuebühnen und das Sexgewerbe fieberhafte Höhepunkte.
Unterwegs mit Brecht und Co.
Dass Schönbeck nun mit einem Pianisten auftritt, ist ein grosser Gewinn. Bünger begleitet nicht nur, sondern kontrastiert elegant den auch mal deftigen Schönbeck. So flanieren wir unter anderem mit Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Friedrich Holländer und Bertolt Brecht durch Berlin. Wir begegnen Marlene Dietrich, Claire Waldoff und gegen Schluss einigem Personal aus der «Dreigroschenoper». Schönbeck und Bünger weichen dem überstrapazierten Haifischsong aus und bieten weniger bekannte, aber dafür umso eindrücklichere Lieder.
Der 58-jährige Schönbeck erfreut das Gemüt, weil er sich selbst so nett auf die Schippe nimmt. Das kommt rüber beim Lied von Otto Reuter, bei dem er heiratswilligen Damen die Vorzüge älterer
Männer aufzeigt: «Nehmen Sie nen Alten, ist er auch schon dick und breit, nen Jungen müssen Sie erst füttern, den Alten haben Sie schon so weit.» Schönbeck trifft mit dieser Selbstpersiflage das
meist ebenfalls ältere Publikum mitten ins Herz.