Berner Zeitung, 4. Juni 2019
Lästerlich und unverblümt
Burgdorf Ein halbes Jahrhundert war Bänkelsänger Peter Hunziker mit alten Liedern und neuen Texten unterwegs. Der Chansonnier ist 81-jährig verstorben.
Bänkelsänger, das waren die Boulevard-Journalisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Auf einem Bänkel stehend vermittelten sie dem Publikum singend und erzählend auf Strassen und Hinterhöfen,
was auf der Welt Schröckliches passiert. Begleitet von allzu oft verstimmten Drehorgeln berichteten sie von Katastrophen, Unglücksfällen, Missetätern, vom schlimmen Ende und von gerechter Strafe.
Das angehäufte Unheil illustrierten sie mit grossen Bildtafeln, Moritatenschildern.
Peter Hunziker übertrug diese Mischung aus derber Übertreibung und rührseliger Gemütsmassage in unsere Zeit. Allerdings begnügte er sich nicht mit Nostalgie. Er war Chansonnier, Liedermacher,
Musiker und parodierte und verfremdete die alte Volkskunst. Bis 2015 trat er mit Soloprogrammen und in Gruppen auf Festivals und in Kleintheatern auf. Die letzten 14 Jahre seines Lebens
verbrachte der Stadtberner in Burgdorf, wo er auch seine reichhaltige Sammlung seltener Musikinstrumente verwahrte. Mitte Mai ist der 81-Jährige nach langer Krankheit gestorben.
Start als Troubadour
Die Karriere begann in den späten Sechzigern. Es war die Zeit der Berner Liedermacher und Troubadours. In den Siebzigerjahren war Hunziker in verschiedenen Formationen dabei. Später konzentrierte
er sich auf die fast vergessene Form des Bänkelsangs und aktualisierte diesen auf vielerlei Weise. Er adaptierte Vorlagen von Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder Fridolin Tschudi
und schrieb eigene Texte. Er war befreundet mit Fritz Grasshoff (1913–1997) und vertonte viele seiner satirischen Texte. Der deutsche Schriftsteller und Maler schrieb eigens Gedichte für Hunziker
und illustrierte diese. Ganz besonders am Herzen lag ihm der schwarze Humor. In diese Richtung weist auch der Titel der letzten seiner vier CDs: «Lästerlich, liederlich und unverblümt».
Unterwegs im Trio
Peter Hunziker war Lehrer am Freien Gymnasium Bern. Die Frühpensionierung 1998 erlaubte ihm, seine künstlerische Tätigkeit zu intensivieren. Am meisten Resonanz hatte Hunziker, als er in den Achtziger- und Neunzigerjahren im Ensemble der Berner Bänkelsänger unter anderem mit Liederweib Dorothea Walther auftrat. Die dreiköpfige Gruppe erarbeitete mehrere abendfüllende Programme. Das Trio trat in Kleintheatern und Festivals auf und bereiste den ganzen deutschsprachigen Raum. Hunziker war der musikalische Kopf des Teams und verstand es, eigene Lieder zu komponieren und Notenblätter für die mechanischen Instrumente zu verfertigen.
Bei diesen ausgedehnten Reisen bewies er auch seine Fähigkeiten, mit Menschlichem und Allzumenschlichem umzugehen. Wenn etwa nach einem glücklosen Auftritt die Nerven blank lagen oder der
altersschwache Bus erst unmusikalisch röchelte und dann den Geist aufgab, rettete Peter Hunziker mit Humor manche Situation beim nicht immer unkomplizierten Tourneeleben.
2010 stellte Peter Hunziker seine letzte CD «Lästerlich, liederlich und unverblümt» vor.