Berner Zeitung, 9. Januar 2019

Schrecklich lustig


Seit 40 Jahren steht Gardi Hutter auf der Bühne. In ihren Stücken erfahren wir, dass das Jenseits nicht hält, was die Religionen prophezeien. Nun zeigt sie ihre Visionen im Bernbiet.
 
Der Tod ist ihr Markenzeichen. Das klingt pietätlos. Das ist es bei Gardi Hutter auch. Im Sinne des Wortes: Pietät, Mitleid. Mitleid ist nicht ihr Ding. Wozu auch? Jeder muss sterben. Wenn dies allen passiert, darf niemand eine empathische Vorzugsbehandlung erwarten.


Sie sei hundemüde, sagt sie drei Stunden vor der Vorstellung in der süddeutschen Stadt Singen. Seit der Premiere im September in Zürich hat sie fünfzig Aufführungen hinter sich. Neben den Tourneestrapazen spüre sie die Nachwirkungen der Probenarbeit. Sie hat ihr neuntes Stück einstudiert, vier davon waren Soli. Diesmal war nicht nur die Geschichte neu. Erstmals sind ihre Tochter Neda Cainero, der Sohn Juri Cainero sowie dessen Ehefrau Beatriz Navarro dabei. Alle sind Profis, Sängerin, Musiker, Tänzerin.


Alterslos


Familienbande: Da klingen gerne auch Misstöne mit. «Ja, wir hatten Konflikte», räumt sie ein. Frust, Spannungen, böse Worte: Nur innerhalb der Familie habe man eine derart intime gemeinsame Vergangenheit. «Es ist uns gelungen, die Konflikte für unsere Arbeit zu nutzen.»


Sie ist 65. Seit bald 40 Jahren ist sie als Clownfrau unterwegs. Auf der Bühne ist sie alterslos. Schminke, Distanz und fitte Beweglichkeit sei Dank. Jetzt, im Foyer des Theaters, sitzt eine Frau am Tisch, bei der die Jahre Spuren im Gesicht hinterlassen haben. Die 65er-Standardfrage: Wann geht Seniorin Hutter in Rente? Sie antwortet mit der Standardphrase der Bühnenleute: «Solange es mir Freude macht, arbeite ich weiter.»


Ergiebiger als die Vorschau aufs Ende ist die Erinnerung an den Anfang. Gardi Hutter hat in Zürich die Schauspielakademie besucht. Die Eltern liessen sie gewähren. Bei einem Sohn hätten sie skeptischer reagiert, erklärt Gardi. «Soll die Tochter doch einen Beruf mit derart wackligen Aussichten wählen, sie heiratet ja doch», hätten die Eltern argumentiert.


Clown-Code


Gardi Hutter ist in 33 Ländern aufgetreten. Den Clown-Code versteht das Publikum auf der ganzen Welt. «Nun ja, in Shanghai lachen sie etwas zurückhaltender», schränkt sie ein. Und: Schwarzer Humor werde nicht überall gleich gut verstanden. Schwarzer Humor ist allerdings eine zu harmlose Umschreibung für das, was Gardi Hutter antreibt: die Komik des Todes, des Schreckens. In den meisten Stücken befasst sie sich mit dem Jenseits. Das Sterben sei das grosse Thema im Leben, auf der Bühne und bei der Komik, sagt sie. Lachen helfe gegen die Angst. Bei einem währschaften Punk klettert eine Ratte über die Schulter, puh, wie gruselig. In den Achtzigerjahren schminkten sich Grufties die Gesichter weiss und trugen Schwarz, puh, wie schauerlich. Der Schrecken als Provokation. Gardi Hutter zögert. Ein kleines bisschen kapriziere sie sich schon auf den Tod. Das kleine bisschen gilt auch für die Schadenfreude. «Die da auf der Bühne sind gestorben. Die Zuschauer sind erleichtert, dass für sie die letzte Stunde noch nicht geschlagen hat.»


Freut euch des Lebens. Gardi indessen freut sich übers Jenseits. Frau Hutter, gibt es ein Leben nach dem Tod? «Ich weiss es nicht.»

 



«Gaia Gardi»: Rote Nase trifft schwarzen Humor


Am Anfang ist es ein bisschen Eso, erinnert an Didgeridoo und Dimitri. Aber dann wird es gut, sehr gut. Gardi Hutter ist auch im neuen Stück Hanna. Sie ist gestorben. Ihre Wiedergängerin erfährt das Jenseits. Dort drüben hat es schwarze Vögel mit grossen weissen Schnäbeln, die vorerst mal tuten und trommeln und hüpfen. Hoppla, denkt man, jetzt wird es philosophisch und transzendental. Und: Wenn das drüben wirklich so aussieht, muss man sich das Sterben nochmals überlegen. Doch dann wird es besser, viel besser. Zum Beispiel als Hanna als Papst (als Päpstin?) auftritt. Da lernt man, dass Seine Heiligkeit auch drüben goldene Kleider trägt. Und dass die Katholikin Hutter den Oberhirten für himmelstauglich hält.


«Gaia Gaudi» heisst das Programm, nach Gaia, der mythologischen Urmutter. Gardi Hutter tritt mit ihrer Tochter auf, der Sängerin Neda Cainero, ihrem Sohn, dem Musiker Juri Cainero, sowie dessen Lebenspartnerin, der Tänzerin Beatriz Navarro. Die Zugewandten haben eine Chefin, die heisst Gardi. Das ist gut so. Das Wortspiel muss sein: Hutter ist die Mutter der Pointen, der Ausgangs- und Endpunkt.


Sie präsentierte die meisten ihrer Programme als Soloproduktionen. Als grosse Überraschung kommt das jüngste Werk nicht daher. Gardi bleibt Hanna, die alterslose Pummelfrau. Sie brabbelt, spricht Gardisch, die grenzenlose Sprache, die keiner kennt und alle verstehen. Gardi ist Gardi ist Gardi ist Gardi. Daraus ergibt sich eine der grossen und wirklich lustigen Szenen: jene nämlich, als die erweiterte Familie als vierfache Hanna im gleichen Outfit auf der Bühne steht. Wer ist Kopie, welche ist das Original? Vermutlich jene, die am wenigsten hoch hüpft.


Vom Sterben handelt das Stück. Das ist ein Thema, das eher zum Psychodrama tendiert als zum Schenkelklopfen animiert. Gardi Hutter und ihr Team verwandeln Horror in schwarzen Humor und schaffen es, dass man zwei Stunden über die eigene Vergänglichkeit lacht.