seniorweb.ch, 13. Juni 2020


Antiquitäten, früher begehrt, heute verschmäht

Antike Möbel sind  heute spottbillig. Sie kosten bloss noch einen Bruchteil des früheren Wertes. Der Berner Händler und Restaurator Matthias Ritschard zählt die Gründe auf: der Trend, das Online-Angebot, die Ikea-Generation. 

Ach, wie war die Nostalgie so schön. Meine Partnerin trug bodenlange Röcke, ich montierte Spitzenvorhängli ans Fenster, gemeinsam freuten wir uns über den abgelaugten Bauernschrank. Das war in den Siebzigerjahren. Die Partnerin ist mir zum Glück geblieben. Die Liebe zu Grossvaters Melkstuhl und Grossmutters Unterwäsche hingegen ist verblasst. Das Geschäft mit der guten alten Zeit hat arg gelitten.

Um konkret zu werden: Ein Barockbuffet, entstanden im vorletzten Jahrhundert, gross, schön, reich verziert, tolle Handwerkskunst, kostete vor 40 Jahren ein Vermögen, 50’000 Franken. Und jetzt? Unverkäuflich. Der Markt für antike Möbel ist zusammengebrochen. Die Faustregel ist auch ein Faustschlag: Teile den früheren Höchstwert durch zwei und streiche ein Null weg. Aus 4000 werden so 200 Franken, spottbillig.

Schwache Morgenröte

Matthias Ritschard steht in seinem grossen Antiquitätengeschäft  an der Kramgasse, Berns bester Lage für seine Branche. „Ich sehe Licht am Horizont“, sagt der 65-Jährige zuversichtlich. Er meint, dass die Preise gelegentlich wieder steigen werden. Die Morgenröte leuchtet allerdings nur schwach und weit entfernt. Am meisten haben die Preise für Möbel gelitten. Antike Stühle, Tische, Kommoden, alles beste Handwerksarbeit, sind günstiger als Neuware. Aber auch anderes ist für einen Bruchteil des früheren Werts zu haben. Omas Besteck, die Vasen der Tante, die schweren Vorhänge aus der Villa des Onkels: früher begehrt, heute verschmäht.

Matthias Ritschard verkauft in seinem Berner Antiquitätengeschäft gängige Ware, die Glasperlenleuchter etwa. Anderes hat einen gewaltigen Preissturz erlebt, der Schrank im Hintergrund zum Beispiel. Foto: Franziska Rothenbühler/zvg

Ritschard ist seit mehr als 40 Jahren im Geschäft. Er sieht mehrere Gründe für den Schwund. Ein aktueller, aber vorübergehender, heisst Corona. Diese Krise trifft fast alle. Der zweite, spezifischere, sind die Online-Möglichkeiten. Zum Beispiel über Ebay bieten nicht nur Händler, sondern auch Private Antikes an. Von Privat zu Privat: Das schadet dem etablierten Handel. Weiter: Es gibt weniger Sammler. Ritschard: „Früher hat fast jeder irgendwas zusammengetragen. Für uns Händler waren das gute Kunden. Sie kauften nicht bloss, was sie brauchten, sondern alles, was sie wollten.“

Leider braun und aus Holz

Und schliesslich, am wichtigsten: der Trend. Kaum jemand richtet seine Wohnung heute noch durchgehend antik ein. Wenns hoch kommt, darfs ein Tisch sein oder eine Kommode. Ritschard bringt es auf den Punkt: „Antike Möbel sind leider braun und aus Holz. Damit passen sie nicht mehr zum angestrebten Wohnideal. Weiss oder hell, so läuft heute der Trend.“ Ritschard bezeichnet die heutigen Käufer als „Ikea-Generation“. Er umschreibt damit gleich zwei Phänomene: Der Geschmack hat sich erstens gewandelt und zweitens kostet der industriell gefertigte Tisch zum selber Zusammenbauen im schwedischen Möbelhaus weniger als das 150-jährige handwerkliche Nussbaum-Bijou.

Die Preise rutschen seit der Mitte der Achtzigerjahre. Den Goldenen Zeiten vorher trauern die Antiquitätenhändler immer noch nach. Ritschard: „Ich habe damals gut verdient.“ Heute komme er über die Runden, weil er breit aufgestellt sei. Zu dieser Diversifikation gehört, dass seine Ehepartnerin Ursula im Städtchen Laupen den „Laupenfloh“ betreibt und dort an manchen Wochenenden günstigere Ware aus Haushaltliquidationen anbietet. Im Berner Hauptgeschäft  verkauft Ritschard neben Möbeln unter anderem auch Glas, Schmuck oder selbst restaurierte Uhren. Als begehrt bezeichnet er alte elektrifizierte Hängelampen, vor allem die attraktiven Glasperlenleuchter. Solche gefragten Stücke in den Laden zu bekommen, werde allerdings immer schwieriger.

Begehrtes ist rar

Wertbeständig sei auch anderes, erklärt Ritschard. Design-Klassiker oder Schmuck zum Beispiel, vor allem, wenn der Materialwert hoch sei, bei Gold oder Silber etwa. Das führt zur paradoxen Situation, dass die Preise für manches zwar im Keller, viele begehrte Antiquitäten jedoch immer schwieriger zu beschaffen sind. Ritschard kommt zu seiner Ware über Haushaltauflösungen oder indem sich Verkaufswillige bei ihm melden. Zu seinem Job gehören auch Auslandreisen, vor allem nach Frankreich. Dort sind Händler oder Brocantes sein Ziel.

Früher erinnert er sich, hätten auch die Fahrenden Ware angeboten. Heute seien Sinti oder Jenische nicht mehr mit alter Ware unterwegs. „Die Fahrenden waren reell, ich konnte gut mit ihnen geschäften“, so Ritschard. Damit widerlegt er das Vorurteil, dass die reisenden Händler Diebesgut angeboten haben. Hehlerei ist aber trotzdem ein Thema. „Ich habe schon Leute abgewiesen, weil ich ein schlechtes Gefühl hatte.“ Der schrumpfende Markt wirkt sich auch auf das zwielichtige Gewerbe aus: Krumme Touren lohnen sich längst nicht mehr so wie früher.

Unter der Baisse leiden alle Zweige des Antiquitätenhandels: Renommierte Auktionshäuser geben auf oder funktionieren nur noch eingeschränkt, Fischer in Luzern oder Stuker in Bern etwa. Brocante-Märkte sagen Termine ab, so zum Beispiel der bekannte Aarberger Puce.

Bleibt die Überlebensfrage: Matthias Ritschard, geschäften Sie in einer aussterbenden Branche? “Nein, aber es erfordert einen langen Atem“, antwortet er. „Man muss Mut für  Veränderungen und vor allem Leidenschaft für das Gewerbe haben.“