journal-b.ch, 18. November

 

Das «Berner Modell» stirbt in Raten

Tamedia will, dass sich die «Berner Zeitung» und der «Bund» künftig vor allem durch die Schmuckfarben unterscheiden, rot und blau. Zu lesen bekommen die Konsumentinnen und Konsumenten weitgehend das Gleiche.
 
Der gemeinsame Verlag der beiden Publikationen Tamedia  formuliert dies nicht so. Doch die angekündigten Massnahmen lassen vermuten, dass das «Berner Modell» vor dem Aus steht. «Berner Zeitung» und «Bund»  existieren zwar weiter. Allerdings nur dem Namen nach. Die beiden Blätter geben den bereits jetzt bloss bescheidenen Wettbewerb endgültig auf. Fast identisch sind die beiden Publikationen schon heute, weil sie nur noch regionale Themen behandeln und alles übrige von der Zentrale beziehen, von Tamedia, die sich neu und unverständlich TX Group nennt.

Unterschiedliche Etiketten auf beinahe gleichen Gefässen also. Immerhin: Ein bisschen dürfen sich die beiden auch künftig noch voneinander abheben. Optisch etwa. Der «Bund» verwendet weiterhin die Schmuckfarbe Blau, die «Berner Zeitung» Rot. Damit es nicht bloss bei dieser Anekdote bleibt, werden sich die beiden auch inhaltlich ein bisschen  unterscheiden: Der «Bund» darf eher städtisch und etwas intellektueller daherkommen. Die BZ soll weiterhin in der Agglomeration und auf dem Land präsent sein.

Der Platz, um dies auszuleben ist allerding eng begrenzt. Über wichtiges in Politik und Kultur berichten die beiden nicht mehr wie bisher getrennt. Vorbei sind die Zeiten als zwei Chronistinnen oder Chronisten die Stadtrat-Debatten begleiteten. Die Differenzen musste man zwar mit der Leselupe suchen. Vermissen wird man hingegen die Unterschiede bei der Kultur. Journalist A bemäkelt die Stadttheater-Premiere, Journalistin B lobt sie.

Bereits vor einigen Monaten hat Tamedia angekündigt, dass jährlich in der ganzen Schweiz 70 Millionen Franken einzusparen sind. Der Konzern begründete dies mit sinkenden Einnahmen. Ende Oktober informierte das Unternehmen  mit einer Videokonferenz die Berner Redaktionen über die allerdings noch wenig konkreten Pläne.

Bis Ende 2021 soll der Umbau abgeschlossen sein. Bis zum nächsten Frühjahr geschieht vordergründig noch nichts. Der Konzern umgeht damit den Vorwurf, die Betroffenen mit Hauruck-Entscheidungen zusätzlich zu malträtieren.


Agglo und Landgemeinden vernachlässigen

Wahrscheinlich, aber bisher nicht hundertprozentig entschieden ist, ob es bloss noch eine einzige Redaktion für die bald fast identischen Zwillinge gibt. Ebenfalls unklar ist auch, ob und wie die «Berner Zeitung» die Agglomeration und die Landgemeinden betreut. Tamedia-Co-Geschäftsführer Marco Boselli hat Ende Oktober mit seinem Blausee-Beispiel kräftige Wellen verursacht. Im Forellen-Gewässer verendeten vor ein paar Wochen die vergifteten Fische. Die Regionalberichterstattung solle künftig vermehrt solch medial wirksame Ereignisse verwerten und aufspüren, verlangte Boselli. Das Kleinklein aus den Gemeinden hingegen sei zu vernachlässigen.

Greift der BZ-Journalist demnach nur noch zum Telefon, wenn der Gemeindeschreiber veruntreut hat? Sitzt seine Kollegin nur noch ins Auto, wenn auf dem Belpmoos ein Saudi-Prinz einfliegt? Sollen die beiden die Gemeindeparlamente nur noch per Kurznachricht behandeln? Und die Zonenplanänderungen, die Steuererhöhungen, die Abstimmungen? Wenn die Tamedia-Blätter bei solchen Entscheidungen nicht mehr präsent sind, stört dies nicht nur die Demokratie. Der Konzern verliert auch Leser – nicht nur in Diemerswil, sondern auch in den 10'000-Einwohner-Gemeinden Münsingen, Zollikofen und Muri-Gümligen.

«siebenstelligen Beitrag» einsparen, höchstens 10 Millionen Franken also. Dies bedeutet, dass 20 bis 30 Stellen verlorengehen.


Düstere Aussichten für Entlassene

Ob auch die Online-Redaktionen betroffen sind, ist unklar. Ebenso offen ist die Zukunft mancher Gefässe, zum Beispiel des «Kleinen Bund». Journalistinnen und Journalisten finden kaum noch Arbeit als Festangestellte. Einen Teil des Abbaus fängt Tamedia durch Frühpensionierungen auf. Andere Betroffene wechseln in den mies bezahlten freien Journalismus oder melden sich beim RAV. Und ein paar werden das bereits grosse Heer der PR-Männer und Mediensprecherinnen verstärken.

Beim vorgesehenen Abbau wollen auch die Gewerkschaften mitreden. Die Journalisten und Journalistinnen haben zwei Vertretungen. Neben dem Berufsverband Impressum engagiert sich die grössere Syndicom für die Arbeitnehmer. Sie ist linker und umfasst neben den Medien auch Logistiker und Postangestellte. Stephanie Vonarburg ist Syndicom-Vizepräsidentin und Leiterin Sektion Medien. Sie erklärt, dass die Gewerkschaft und Personalvertretungen bereits jetzt mit Tamedia verhandeln.

Gespräche zu einem Zeitpunkt, bei dem noch so vieles unklar ist, das sei ungewöhnlich, so Vonarburg. Traktandiert sei vor allem der Sozialplan. Tamedia hat in den letzten Jahren schon mehrere solche Vereinbarungen unterschrieben. «Wir wollen bei den vorherigen Sozialplänen anknüpfen und diese verbessern», so die Gewerkschafterin. Neben der schwierigen Lage für arbeitslose Medienschaffende argumentiert sie auch mit den Dividenden: Tamedia hat diesen Frühling den Aktionären 37 Millionen Franken gutgeschrieben.


«Hoffentlich originellen Protest im Frühling»

Vonarburg verhandelt zusammen mit der Vertretung des Deutschschweizer Personals. Die Personalkommission (PeKo) Bern  vertritt die Beschäftigten beider Zeitungen, BZ und «Bund». BZ-Redaktor Jürg Steiner ist einer der beiden PeKo-Copräsidenten. Er erklärt, dass zurzeit keine Aktionen geplant seien. «Ich denke, dass es sinnvoll wäre, allfälligen und hoffentlich originellen Protest auf den Frühling zu legen, wenn der Abbau konkret geplant wird.»

Bereits reagiert hat die «Bund»-Redaktion. Sie hat Pietro Supino einen Brief geschrieben. Darin erinnert sie den Tamedia-Verwaltungsrats-Präsidenten daran, dass sich sein Unternehmen nach eigenem Bekunden dem Qualitätsjournalismus verpflichtet fühle. Die Redaktion weist weiter darauf hin, dass vor allem ihr eigenes Produkt diesen hohen Standard erfülle. Sie illustriert dies mit dem Qualitätsrating des Stiftervereins für Medienqualität Schweiz, wonach der «Bund» weit besser abschneide als die «Berner Zeitung».

Der «Bund» privilegiert sich damit in einem Schreiben an die Geschäftsleitung gegenüber der Leidensgenossin BZ. Man kann dies milde ausgedrückt als missglückten Vergleich darstellen. PeKo-Co-Leiter und BZ-Redaktor Jörg Steiner: «Eine unsensible Formulierung.»