seniorweb.ch, 18. Oktober 2022

Nein, ich bin kein Klima-Verharmloser, kein Putin-Versteher, kein Corona-Leugner. Alles echt, alles bedrohlich, alles gefährlich. Aber zum Glück steckt in der Gefahr auch die Möglichkeit, dass diese an uns vorbeizieht. Hoffentlich.

 

Drum gibts neben den schlechten Nachrichten Ukraine, Strom- und Gasmangel, Putin, Pandemie, Trump, Inflation, Klima,

auch die gute Nachricht: Es kommt nicht alles so schlimm.

 

Die Realität ist zum Glück manchmal leiser als die Alarmglocken. Zum ersten weil Prognosen schwierig sind, „vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“ – ein Zitat, das vielen Urhebern in den Mund gelegt wird. Zum zweiten: Interessengruppen, Organisationen, neigen zum Tunnelblick: Sie sehen nur ihr eigenes Sach- oder Interessengebiet. Staaten, Gesundheitsbehörden, übertreiben, um zu verhindern, dass man ihnen vorwirft, dass sie nicht vorausschauend gehandelt haben.

 

Und drittens überschiessen die Medien. Sie glauben, dass es ihre Aufgabe ist, Probleme möglichst detailreich zu schildern, sie durch möglichst viele Betroffene bestätigen und durch möglichst viele Fachleute schwarzmalen zu lassen. Aus einem zwar ernsten, aber lösbaren Problem wird so eine Katastrophe.

 

Schliesslich viertens: Wir erleben die Ereignisse so intensiv wie noch nie. Echte und falsche News, Online und Print, Social Media, tausende Kommentare, hämmern auf uns ein. Zum Vergleich: Viele von uns erinnern sich noch an die Kubakrise 1962 Die Sowjets schickten Atomraketen nach der Insel von Fidel Castro. Wir waren dem finalen Schlag näher als je. Und was geschah? Ein paar Artikel in den Zeitungen, ein wenig Radio, ein bisschen TV. Das wars. Kaum auszumalen, was heute ein solches Ereignis medial bewirken würde.

 

Als Beispiel ein paar Weitschüsse, die übers Ziel hinausgingen. Die Wettermeldungen über die Hitzewochen dieses Sommers verdrängten sogar den Ukraine-Krieg aus den medialen Pool-Positionen. Meteo-Voraussagen und -Experten drohten mit 40-Grad-Tagen, mit Toten und Hitze bis weit in den Herbst. Unterdessen ist er da, der Herbst. Kühlräume für Altersheime und Hitze-Ferien für Bauarbeiter waren nicht nötig. Ein Problem wars, aber keine Katastrophe.

 

Im vergangenen Herbst ängstigten uns die Corona-Fachleute mit der hochansteckenden und damit hoch gefährlichen Omikron-Variante. Gesundheitspolitiker, Virologinnen und Mediziner forderten Notfallszenarien. Unteressen hat sich gezeigt, dass Omikron eher zur Eingrenzung statt zur Ausbreitung beigetragen hat.

 

 

Achtung, Achtung, Achtung. Bei allzu vielen Warnungen verschwindet die Wirkung.

 

Wenigstens vorläufig zeichnet sich ab, dass der angekündigte heisse Corona-Herbst milder verläuft alls befürchtet. Der deutsche SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat im Sommer eine Killer-Variante vorausgesehen. Jetzt müssen wir zwar wieder vorsichtiger sein, wir boostern bereits ab 65, wir sehen und tragen wieder häufiger Masken. Aber die Killer-Viren sind bis jetzt ausgeblieben. Die Affen-Pocken zeigten eine Zeit lang Katastrophen-Keime. Zum Glück konnten sich diese nicht entwickeln.

Als im Februar Russland die Ukraine überfiel, waren die meisten Kommentatoren überzeugt, dass die rote Dampfwalzenarmee das kleinere Land in Kürze besiegen würde. Die Realität ist anders. Wir könnens in den Nachrichten lesen: Der Krieg eskaliert zwar bedrohlich und fordert viele Tote, der Ausgang ist aber offen. Und die Hoffnung lebt.

 

«Wie soll ich zu meiner Wohnung im sechsten Stock kommen, wenn der Strom und damit der Lift ausfällt,» klagte eine Rollstuhlfahrerin im Sommer per Leserinnenbrief. Kalte Wohnungen und steckengebliebene Eisenbahnzüge ahnten die Prognostiker. Unterdessen tönen ihre Klagerufe weniger schrill. Abgeschaltete Lichtreklamen und Heizpilze, das klingt sogar erfreulich. Öfeli- und Kerzenhamsterer erinnern an die WC-Papier-Neurotiker zu Beginn der Pandemie.

 

Alarme von links und rechts, unten und oben, hinten und vorne, das stumpft ab. Dennoch bieten und boten die vielen Schreckensmeldungen auch Gutes: Sie verhalfen zu besserer Luft- und Wasserqualität, zu weniger Immissionen und medizinischen Fortschritten. Früher war nicht alles rein und gut.

 

So bleibt zu hoffen, dass im Schlechten der Keim des Guten steckt und wächst.