seniorweb.ch, 9. Februar 2022
Zügeln, und niemand will das schöne Sofa
Wohin mit dem Überzähligen, wenn wir in eine kleinere Wohnung oder ins Altersheim ziehen? Antiquitätenhändler, Brockenhaus oder Entsorgungshof? Umzugskandidaten müssen mit Enttäuschungen rechnen.
Die alte Dame sollte mit 90 ins Pflegeheim. Die Angehörigen mussten ihren Haushalt auflösen. Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, eher bescheiden eingerichtet. Trotz ein paar guten Stücken flog alles in die Mulde. Die Räumungsfirma verrechnete 3000 Franken. Um die Betagte zu schonen, sagten die Tochter und der Sohn, dass eine gemeinnützige Organisation das Mobiliar zugunsten Bedürftiger übernommen habe.
Antiquitätenhändler winken ab
Die Geschichte hat sich wirklich so zugetragen. In ihr stecken einige Erkenntnisse, besser Enttäuschungen. Die erste: Wer in eine kleinere Wohnung oder ins Altersheim zügelt, darf kaum damit rechnen, dass er für sein Mobiliar noch was bekommt. Das gilt nicht für ganz besonders wertvolle Stücke oder für gewisse Design-Klassiker. Aber sonst: Der Nussbaum-Sekretär, der restaurierte Bauernschrank, das neu gepolsterte Sofa: Sie sind unverkäuflich oder der Besitzer erhält nur einen Bruchteil des Betrags, den er ursprünglich bezahlt hat.
Die Zügelkartons sind bereit. Wenn im neuen Logis nicht alles Platz hat, landet Liebgewordenes im Abfall. Das schmerzt.
Die Antiquitätenpreise sind seit Jahren am Sinken. Ob die Talsohle erreicht ist, weiss niemand. Der Berner Aniquitätenhändler Matthias Ritschard schätzt, dass die Preise auf einen Bruchteil des ursprünglichen Werts gefallen sind. „Antike Stühle, Tische, Kommoden, alles beste Handwerksarbeit, sind günstiger als Neuware“, so Ritschard.
Brockenhäuser sind wählerisch
Wenn der Händler nicht will, wandern halt die schönen Möbel und das 75-teilige Geschirrservice ins Brockenhaus. Unter anderem Hiob, Rotes Kreuz oder die Heilsarmee betreiben solche Secondhand-Läden. Wenn man seine Kostbarkeiten einer solchen gemeinnützigen Organisation überlässt, ist man wenigstens sicher, dass man einen guten Zweck unterstützt und dass Brauchbares nicht im Abfall landet. Doch oje, es folgt Enttäuschung Nummer zwei. Die Verantwortlichen der Brockenhäuser sind wählerisch geworden. Vor allem bei Möbeln winken sie ab. Kommt dazu: Oft muss man wochenlang warten, bis die Institutionen einen Last- oder Lieferwagen vorbeischicken. Bernhard Müller, der Leiter des Bärner Brockis, berichtet zwar von gesamthaft guten Erfahrungen, kennt aber auch Probleme: „Schwierig wird es eigentlich nur, wenn eine Erbengemeinschaft im Spiel ist, die sich nicht einig ist – dann ist es für unser Team eine heikle Angelegenheit.“
Der Entsorgungshof ist Endstation
Bei Umzügen aus Altersgründen sind neben den Direktbetroffenen meist (oder hoffentlich) die Söhne und Töchter beteiligt. Ergänzend oder ausschliesslich kann die Arbeit auch einem Räumungsdienst oder einer Zügelfirma übergeben werden. Das Speditionsunternehmen Welti- Furrer hat eine Abteilung, die sich speziell um Umzüge ins Altersheim kümmert. Der Leiter der Berner Geschäftsstelle, Urs Wehrle, gibt Auskunft. „Wir wissen, dass dies ein emotionales Thema ist und begegnen diesen Situationen mit Respekt und Fingerspitzengefühl.“ Oft seien Enttäuschungen zu bewältigen. Wehrle erwähnt ein Beispiel, einen Basler Barockschrank, 10’000 Franken wert. „Kein einziger Antiquitätenhändler wollte das Prunkstück.“
Bleibt die eigentliche Räumung über den Entsorgungshof oder auch mal die Mulde am Strassenrand. Für die komplette Räumung einer Wohnung ist gemäss Wehrle mit Kosten zwischen 1500 und 5000 Franken zu rechnen. Die Umzugsfirmen transportieren das Material an die neue Adresse. Wenn gewünscht, verpacken sie und entsorgen nicht mehr Verwendbares. Sie kümmern sich aber nicht um den Verkauf oder den Transport ins Brockenhaus.
"Verzichten kann man trainieren"
„Wer es gewohnt ist, sich von Unnötigem zu trennen, hat es leichter“, sagt Esther Perroud. Die selbständige Fachfrau entlastet und unterstützt ältere Menschen, die einen Umzug planen.
Seniorweb: Esther Perroud, viele, die in eine kleinere Alterswohnung oder in ein Heim ziehen, erleben dies als Stress.
Esther Perroud: Wir Menschen freuen uns über Zuwachs, über mehr Wohnraum oder über mehr Möbel. Wir sind es aber nicht gewohnt, Abschied zu nehmen von Sachen, die uns lange begleitet haben.
Kann man das üben?
Ja. Wie unsere Muskeln können wir auch das Verzichten trainieren. Wer es gewohnt ist, sich immer wieder von Unnötigem zu trennen, akzeptiert leichter eine kleinere Wohnung oder das Altersheim. Man kann das mit einer Diät vergleichen.
Das erfordert, dass man sich bereits vor dem Umzug mit den Veränderungen auseinandersetzt.
Der beizeiten geplante Umzug ist viel besser, als der Erzwungene, zum Beispiel nach einem Spitalaufenthalt oder einem Unfall.
Sollen sich die Söhne und Töchter beteiligen?
Ja, wenn das Verhältnis gut ist. Die vermeintliche Hilfe kann aber auch mit Misstönen enden. Da hat zum Beispiel der Sohn seiner Mutter bei der Züglete ein Foto ihrer Hochzeit auf den Tisch im Heim platziert. Die betagte Frau hatte aber eine schwierige Ehe hinter sich. Sie wollte gar nicht an den Gatten erinnert werden. Der Sohn hatte es versäumt, seine Mutter über ihre Bedürfnisse zu fragen.
Was hätte die Frau Mama tun können?
Bei einem geplanten Umzug empfehle ich zum Beispiel, mit farbigen Klebern alles zu markieren, was man unbedingt mitnehmen will.
Das klappt nicht, wenn die ganze Wohnung beklebt wird.
Stimmt. Damit sind wir wieder am Anfang: Bereits vorher das Trennen trainieren.
Bilder freepik
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