Farbenspiel. Alle vier Jahre verfärben die Roten, Grünen und Blauen unser Dasein. Es ist ein Ritual, bei dem die Beteiligten hoffen, die Wählenden positiv zu stimmen. Es erinnert an den Versuch, durch Regentänze das Wetter zu verändern. Und es ist ebensowenig erfolgversprechend. Ich habe zum Thema nichts Aktuelleres gefunden als eine Untersuchung der Freien Universität Berlin aus den Neunzigern. Die Studie hat zwar Staub angesetzt, die Ergebnisse jedoch nicht. Nämlich: Wahlwerbung taugt nur dazu, die Bevölkerung an die einzelnen Parteien zu erinnern. SVP, SP, Mitte, FDP, Grüne. Alles, was darüber hinausgeht ist für die Katze.
Erdrütschchen. Man kann getrost annehmen, dass die angejahrten Studienergebnisse auch heute noch stimmen. Wir dürfen vor allem daran glauben, weil die Schweizer Wahlbevölkerung unglaublich stabil entscheidet. Verschiebungen von einigen Prozentpunkten gelten bereits als Erdrutsch. Werbung beeinflusse das Ergebnis höchsten um zwei Prozent, so die Studie. Trotz der eidgenössischen Parteientreue gibts Veränderungen.
Ueli und Alain als Influencer. Nicht die Propaganda treibt die Leute ins andere Lager, sondern das Verhalten der Parteien und ihrer Exponenten. Die Rechten punkten oder verlieren durch ihre Migrationspolitik, durch ihre Haltung zur EU – oder durch Alt-Bundesrat Ueli Maurers Auftritte an der Trychler-Shirt-Show. Die Linken punkten oder verlieren durch ihre Wokenessnähe, durch ihre Stellung zu den Krankenkassenprämien – oder durch Bundesrat Alain Bersets Episode als Quax, der Bruchpilot.
Warum plündern die Parteien ihre Kassen? Wieso suchen sie halbillegal nach Spenden? Weshalb nötigen sie ihre Mitglieder zu Stand- und Telefonaktionen? Wieso prügeln sie ihre möglichst prominenten Vertreter zum Händeschütteln vor die Migros oder auf den Bahnhofplatz?
Viele Bilder, wenig Beachtung. Auch die Katze schaut weg. Bild: fotor, pst
Fränklerheilige. Hierzu gibt es als erstes eine mystische Erklärung. Nämlich: Wahlwerbung ist ein Ritual, die Beschwörung des geheimnisvollen Gottes Publikumsgunst. DIE Publikumsgunst, eine Göttin also. Hierzulande heisst sie Helvetia. Unsere Urschweizerin ist sehr beständig und konservativ. Immerhin, verschiebt sie nach den Wahlen jeweils ein paar Prozentpünktchen nach rechts, ein paar Promillchen nach links. Aber sonst hats unsere Fränklerheilige gerne gäng wie gäng. Und durch so was Profanes wie Wahlpropaganda lässt sich sich die Göttliche nicht vom Kurs abbringen.
Direktzahlungen. Aber warum fahre ich dann von Madiswil bis Alchenstorf an so vielen Wiesen vorbei, auf denen die Plakate in voller Blüte stehen? Bekommen die Bauern dafür Direktzahlungen? Kaum, aber für die Werbeschwemme gibt es eine zweite Erklärung. Ich habe dafür ein hübsches Fremdwort ge- und erfunden: reziproke Eskalation. Oder ganz simpel: hochschaukeln. Wenn Partei A tausend Plakate aufhängt und für 100 000 Franken Werbung schaltet, will Partei B die Wählenden mit 1100 Plakaten und 110 000 Werbefranken üerzeugen. Wir ahnens: Die Parteien C, D, E und folgende setzen jeweils noch einen drauf. Erfolg, siehe oben; null.
XXL-Artikel. Nicht nur die Parteien schaukeln sich hoch. Auch die Medien agieren weitab von den Interessen der Leserschaft. Langfädige Interviews mit Parteipräsidenten und -präsidentinnen, bei denen diese das Gleiche wiederholen, das sie schon dutzendfach gesagt haben. Die Zeitungen befragen die jüngste Kandidatin, löchern den queersten Kandidaten und langweilen mit XXL- Artikeln über Fragen, die niemand gestellt hat.
Hä, welche Wahlen? Ich habe in meinem Bekanntenkreis zehn Personen befragt. Nicht eine hat gesagt, dass Werbung ihren Entscheid beeinflusse. Halt, stimmt nicht. Eine abweichende Antwort habe ich erhalten: «Wahlen, welche Wahlen?»
Steine umdrehen. Bei den Medien lässt der bei den Journalisten gefürchtete Nachzug die Politberichterstattung anschwellen. Originalton Redaktionskonferenz: «Was können wir zum Thema sonst noch machen?» Die freche Praktikantin: «Wir haben doch schon jeden Stein umgedreht.» Der Chef: «Jetzt drehen wir noch jeden Kiesel um.»*
Zoologie. Bei der Zusammenfassung helfen uns zoologische Kenntnisse: Wahlwerbung durch die Parteien ist für die Katze. Die medialen Bemühungen sind für die Füchse.
Ein Schrittchen zurück. Ich habe die Medien, Online oder Print, nochmals durchgeguckt und differenziere mein negatives Urteil ein bisschen. Nämlich: Für die wirklich politisch Engagierten können die seriösen Medien beim Entscheiden mithelfen. Ich selbst gehöre zu den politisch bloss Interessierten und empfinde die Artikelflut kontraproduktiv. Über jene, die mit der Politik gar nichts am Hut haben, reden wir schon gar nicht.
Nein, wir wollen gewiss nicht wissen, wen sie wählen oder gewählt haben. Aber: Was hat Sie beeinflusst? Parteiprogramme, Medien, persönlicher Eindruck, Diskussionen,
Bekannte…?
* Die Medienschwemme überflutet nächste Woche nochmals unser Land. Alle Prozentzahlen der Wahlen, alle Abweichungen, alle Auffälligkeiten, alle Neugewählten, alle Abgewählten, alle
Fastgewählten, das Dorf mit der tiefsten, der Kanton mit der höchsten Stimmbeteiligung.
Die übernächste Totale steht im Dezember mit den Bundsratswahlen ins Haus.