Heute am 31. ist ja noch knapp Oktober. Da darf man zum letzten Mal eine Sommergeschichte erzählen, zumal wenn diese schon jahrzehntealt ist. Sie handelt von mir. Das tönt unbescheiden. Aber weil es eine peinliche Geschichte ist, verblasst jeder selbstherrliche Glanz.
In den Sechzigern lernte ich Lisa kennen. Sie war zwar eine meiner ersten Mädchenbekanntschaften, aber keine grosse Liebe. Doch ihr Vater war Pilot bei der Swissair, also einer dieser blau uniformierten Halbgötter. Die Aura dieses Helden der Lüfte übertrug sich für mich auf Lisa. Ausserdem hatte ich die leise Hoffnung, dass ich dank ihrer Unterstützung mal zu einem Ausflug mit einer DC 8-32, Convair CV 990 Coronado oder Caravelle III käme. Doch es kam anders.
Zürich feierte damals eine Reihe von Züri- oder Seenachtsfesten. Alle mit viel Feuerwerk, alle mit sehr, sehr viel Publikum. An einem meiner ersten Treffen mit Lisa wollte ich sie mit einem exquisiten Zugang zu einem dieser pyrotechnischen Wunderwerke beeindrucken. Den besten Ausblick bot die Quaibrücke am Ausfluss des Sees.
Bier, viel zu viel Bier
Ich kannte Lisa noch nicht lange und war entsprechend aufgeregt. Um den gehemmten Peter zu einem Frauenheld zu formen, trank ich Bier, viel Bier. Die Umwandlung gelang nicht, und die Schluckerei hatte höchst unerwünschte Nebenwirkungen. Lisa trank viel weniger. Pepita? Elmer Citro? Vivi Kola? Jedenfalls kein Bier, das schickte sich damals nicht für junge Damen.
Die für den Verkehr gesperrte Quaibrücke ist bereits stark belegt als wir sie am späten Nachmittag erreichen. Die Menschenmenge wird immer dichter, vor allem gegen die Seeseite. Auch Hitze und mein Durst nehmen zu. Zum Gück gibts immer noch Getränke. Lisa und ich erstehen je ein Orangina. Gegen Abend ist die Brücke so verstopft, dass es weder Durchkommen noch neue Tranksame gibt.
Zum Glück zogen Feuerräder, Raketen und Fontänen beim Züri-Fest vor 60 Jahren alle Blicke auf sich und niemand beachtete den Kolumnisten. Feuerwerk, 2007, bei Sesimbra in Portugal. Bild pixabay.
Das Festprogramm dauert stundenlang. Fallschirmspringer landen im See. Kunstflugstaffeln dröhnen. Die Seepolizei lässt Wasserfontänen steigen. Auf einem Ledischiff konzertiert eine Blasmusik. Nun rächt sich mein Bierkonsum. Je später der Abend, desto grösser der Harndrang. Die kompakte Menschenmenge verhindert, das Pissoir zu erreichen. Und: Darf Peter seine Lisa verlassen? Darf der Beschützer das Weite suchen? Darf der weisse Ritter das schöne Fräulein im Stich lassen? Nein.
Die Liebe geht – durch die Blase
Der Himmel wird dunkler, der Drang stärker, die Not grösser. Schliesslich beginnt das Feuerwerk. Die Zylinderbomben, China-Böller und Kometen entlocken dem Publikum Ahs und Ohs. Die übervolle Blase schmerzt und zwingt den jungen Peter aus Wiedike zu allerlei Verrenkungen. Schliesslich erinnert er sich des mittlerweile leeren Orangina-Fläschchens als Nothilfe. Nach komplizierten diskreten Vorbereitungen gelingt es ihm, in den Behälter zu urinieren. Der Vorgang ist schwierig, die Gelegenheit immerhin günstig. Dank des Spektakels am Himmel beachtet niemand das mobile Pissoir.
Jetzt könnte die Geschichte mit einem halbwegs tragbaren Happy End schliessen. Doch nichts da. Lisa, unterdessen durstig geworden, sieht das gefüllte Gütterli. Und will trinken. Was tun? Ausschütten? Gar selber trinken? Ich werfe den vermeintlichen Durstlöscher in weitem Bogen in die Limmat und stottere unverständliches: «vermutlich sauer geworden». Ob der Herzlosigkeit des Begleiters mit Sicherheit sauer ist nun Lisa. Sie will nach Hause. Ich auch. Schluss der Geschichte. Schluss der Beziehung.