seniorweb.ch, 17. September 2024
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Steigers hinterlassen Rost und wertlose Papierli
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Es geht um das, was wir hinterlassen. Nein, nicht die Eigentumswohnung oder den Perserteppich. Es geht um das, was wir erschaffen haben und in Erinnerung bleiben soll. Vorweg, es ist kümmerlich. Ich will das am Beispiel meiner Familie erläutern.

 

Der Grossvater war Kunstschmied und Graveur. Er machte schön geschmückte Gartenzäune und reich verzierte Zinn- und Kupferkannen. Seine Leidenschaft und sein Arbeitseifer galten jedoch spätmittelalterlichen Harnischen, Rüstungen. Sein Bravourstück war eine Nachbildung eines besonders wertvollen Exemplars aus dem Zürcher Landesmuseum. Die Kopie entsprach bis ins kleinste Detail dem Original. Der Kunsthandwerker vollendete das eindrückliche Werk erst kurz vor seinem Tod. Das Ding erschreckte jahrelang in meiner Wohnung die Besucher. Ich stieg zwei, drei Mal in das rostig gewordene Eisending. Was nicht ganz einfach war. Die Lederriemen, die die Einzelteile verbanden, waren brüchig geworden, ich musste höllisch aufpassen. Der Helm mit Vollvisier drückte, war unbequem und verursachte Platzangst.

Grossvater schuf mit der Kopie einer mittelalterlichen Rüstung ein handwerkliches Meisterstück. Das unterdessen angerostete Stück verschwand Richtung Amerika. (Symbolbild, Freepik)

 

Deshalb verkaufte ich die Rüstung für 2000 Franken an einen Antiquitätenhändler. Ein Amerikaner erstand das sichtbar oxydierte Eisenwerk. Manche Amerikaner habens mit den Waffen. Manche Amerikaner habens mit der Tradition. Manche Amerikaner sind reich. Mein Amerikaner demonstrierte all dies mit der Rüstung meines Grossvaters. Vermutlich hat nie ein Amerikaner ernsthaft in einem solchen Eisending Schutz gesucht. Vielleicht Kolumbus? Wie auch immer. Mein Grossvater hinterliess Rostspuren.

 

Der Vater sammelte Briefmarken. Hä ja, er war ja schliesslich Pöstler. Weil mich die Philatelie nicht interessierte veräusserte ich die akribisch in vielen Stunden zusammengetragene Sammlung für wenig Geld. Mein Vater hinterliess wertlose Papierli.

 

Ich, der Sohn, habe viele tausend Artikel geschrieben, schlechte, mittelmässige, ein paar wirklich gute. Trotzdem: Die meisten sind längst im digitalen Nirwana verschwunden. Der Sohn hinterlässt vergessene Artikel.

 

Was kann man vorher tun, um nachher nicht vergessen zu werden? Berühmt werden? Ich habs auf Seniorweb mal ausgerechnet. Die Chancen stehen 1 zu 3 Millionen. Reich werden? Böse werden? Wir Normalos verschwinden im unendlichen Raum des Vergessens