seniorweb.ch, 20. Juni 2024

 

Hereingeklickt in die Museen des Alltags

 


 

Der Kaminfeger pedalt 1967 durchs Dorf. Das Foto stammt aus der Topothek Gurtenbühl/Köniz. In der Schweiz gibt es fünf solcher von der Bevölkerung bestückten Archive. Sie zeigen den Alltag der letzten 100 Jahre. Die Leserschaft von Seniorweb kann beitragen, diese digitalen Sammlungen zu erweitern.

 

Wir sehen auf der Galerie unten ein mehr als hundertjähriges Foto der letzten Postkutsche nach Schwarzenburg. Wir staunen, wie der Bus der Berner Verkehrsbetriebe (heute Bernmobil) 1947 bei Hochwasser durchs Zentrum von Köniz fährt. Wir haben das Glück, einen Kaminfeger auf dem Velo zu sehen (um 1967). Wir schmunzeln, wie Metzger Riesen 1924 durchs Dorf knattert. In den Seitenwagen hat er vier (!) Kinder gepackt.

 

Die Bilder stammen aus der Topothek Gurtenbühl/Köniz. Dabei handelt es sich um Online-Archive, die von Privaten in lokalen Einheiten betrieben werden. Sie leben von der Mitarbeit der Bevölkerung. Die Bewohner stellen der Topothek Material zur Verfügung, Bilder, Karten, Dokumente, Filme, Tonaufnahmen. In digitalisierter Form entsteht so ein regionalhistorisches Nachschlagewerk, dessen Schwerpunkt auf der Sicherung und Sichtbarmachung von privatem historischem Material liegt. Eine Topothek ist beliebig erweiterbar und kennt weder Redaktionsschluss noch Seitenumfang.

 

 

Das Wort Topothek hat einen altgriechischen Ursprung. Topos „Ort, Thema“ und Theke „Aufbewahrungsort“, „Behälter“ im Sinne von „Bibliothek“. Die Idee zu dieser Einrichtung stammt vom Österreicher Alexander Schatek. Er hat die erste Topothek 2010 gegründet. Anfangs betrieb er sie aus rein privatem Interesse. Er wollte seine Bilder und Familiendokumente in einem Archiv verschlagworten und für sich sortieren. Heute gibt es allein in Österreich über 300 lokale Plattformen.

 

Nach dem Start im Nachbarland hatten die Archive auch in anderen Ländern Erfolg. Heute werden die Plattformen in über zehn Ländern genutzt, darunter auch in der Schweiz. In unseren Land sind bis bis jetzt Giessbach, die Gemeinde Köniz, Burgdorf, das Kurhaus Flühli und das Hotelarchiv Schweiz dabei.

 

Thomas Krebs aus dem Gurtenbühl hat mehrere der hiesigen Topotheken initiert. «Ganz wichtig und eine zentrale Idee der Topothek ist der Einbezug der Bevölkerung», betont er. Als Beispiel: Auf einem historischen Gruppenbild erkennt eine Topothek-Nutzerin ihre Grosseltern. Sie kann diese markieren und deren Namen eintragen. Oder: Jemand findet im eigenen Album alte Bilder vom Familienausflug an den Giessbach. Durch den Eintrag in die Topothek werden solche Bilddokumente öffentlich zugänglich. Denn die Topotheken sollen wachsen. «Neues Material soll dazukommen, durch Leihgaben zum Scannen, aber auch durch Ankäufe oder Schenkungen», sagt Krebs.

 

In einer Topothek könne und solle durchaus auch die neuere Lokalgeschichte abgebildet werden, ergänzt er. «Sei es etwa bei Umbauten oder Ereignissen, die für die Nachwelt festgehalten werden.“ Dies dokumentiert die Topothek Gurtenbühl, einem Ortsteil von Wabern, das zur Gemeinde Köniz gehört. Seniorweb verwendet Material aus dem Archiv für diesen Beitrag.

 

 

Topotheken bewahren Geschichte von unten

 

Der Germanist und Anglist Thomas Krebs hat vor vier Jahren die erste Schweizer Topothek initiert, jene zum Grandhotel Giessbach. Auch die Sammlung Gurtenbühl entstand auf seine Anregung hin, und zwar zur Feier des 111-jährigen Bestehen des Leists vom Gurtenbühl.

 

 

Seniorweb: Eine Topothek ist ein virtuelles Archiv, das keine realen Fotos oder Gegenstände aufbewahrt. Wie haben Interessierte Zugang zu den Sammlungen?

 

Thomas Krebs: Durch den Besuch auf einer der Topotheken, die von jeder Suchmaschine angezeigt werden. In der Topothek lässt sich unter anderem nach Schlagwort suchen, nach Ort oder nach Zeitraum.

 

In welcher Form bekommen die Topotheken das Material?

Wir erhalten die Zugänge über digitalisierte Dateien oder Material zum Einscannen. Unsere Topothekarinnen und Topothekare überprüfen die Eingänge, ordnen sie ein und beschreiben sie anhand der vorliegenden Informationen. Bei der Topothek Gurtenbühl/Köniz engagieren sich gesamthaft drei Mitarbeitende.

 

Welches Material bevorzugen Sie, welches weisen Sie dankend zurück?

Alles, was von allgemeinem Interesse ist, wird gerne entgegengenommen, vor allem, wenn auch die Qualität stimmt (für die Lupenfunktion in der Topothek ist eine hohe Auflösung von Vorteil). Kaum interessant ist Material, auf dem zum Beispiel nur Privatpersonen in einer Stube zu sehen sind.

 

Welche Aufgaben übernehmen die Topotheken?

Sie nehmen Material entgegen, scannen es, wenn das nicht schon geschehen ist, verschlagworten und verorten es (wo das möglich ist) und laden die Bilder und Dokumente hoch.

 

Wie gehen Leute vor, die interessantes Material haben?

Auf den Topothek-Webseiten sind die jeweiligen Kontakte aufgelistet.

In der Schweiz gibt es fünf Topotheken sowie weitere zwei Private. Sind Interessierte aus anderen Regionen oder mit anderen Sachgebieten ausgeschlossen?

 

Es ist bereits mindestens eine weitere Schweizer Topothek in Vorbereitung.

 

Die Nutzerinnen und Nutzer können die Exponate vergrössert anschauen, aber nicht herunterladen. Welche urheberrechtlichen Bestimmungen gelten?

Die Bildrechte bleiben bei den Urhebern, meistens also bei den Fotografinnen und Fotografen oder deren Erben. Ohne Genehmigung dürfen die Bilder nur privat verwendet werden. Es gelten internationale Archivregeln. Die Topothek ist Teil von ICARUS, dem International Centre For Archival Research.

 

Topothekarinnen und Topothekare arbeiten unengeltlich. Der übrige Aufwand kostet aber. Woher kommt das Geld?

In der Regel bezahlen die Betreiber die Gebühren, also zum Beispiel die Gemeinden.

 

Welche Voraussetzungen müssen Topothekarinnen, Topothekare mitbringen?

Elementare Computerkenntnisse sind Bedingung, zum Einstieg gibt es eine Schulung. Ortskenntnisse sind insbesondere bei einer bei einer Orts-Topothek von Vorteil.

 


 

Unterwegs mit Bus, Töff, Velo, Seifenkiste…

Zum Vergrössern anklicken      

… und unterwegs mit Churchills Stumpen

1946 bereiste Winston Churchill die Schweiz. Die Bevölkerung bejubelte den britischen Ex-Premier auf allen Stationen seines Besuchs. In Köniz kam ein Siebtklässer zu einem besonderen Souvenir, zu Churchills legendärer Zigarre. Hier hören wir, wie es dazu kam und was der Jugendliche mit dem Stumpen anstellte. die Episode stammt aus der Hördatei «11 Geschichten aus dem Gurtenbühl». Hannah Plüss hat die Sammlung betreut.

 

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Links:

 

Topotheken
hotelarchiv-schweiz.topothek.com
burgdorf.topothek.ch
giessbach.topothek.com
gurtenbuehl.topothek.com
kurhaus-fluehli.topothek.ch

 

Wie gründe ich eine neue Topothek?
www.topothek.at/de/eine-topothek-starten/

 

Zusammenfassung aller Topotheken
http://www.topothek.at/de/

 

Bilder, Video, Audio: Topothek Köniz, Gurtenbühl