seniorweb.ch, 28. Mai 2024

 

Meine Sünden im Rotlicht-Milieu

Sex sells. Drum der Titel. Ausserdem stimmt er. Der Kolumnist offenbart hier seine Widerhandlungen bei Ampeln mit Rotlicht.

 

«Die Alte söttet doch äs Vorbild si,» rief mir der ebenfalls ergraute Mann hinterher. In der Unterführung beim Bahnhof Bümpliz-Süd wars. Ich fuhr mit dem Velo durch. Langsam. Ich schwörs, grosses Senioren-Ehrenwort, ausser diesem Mann und mir war niemand im Betondurchgang. «Velofaare isch hie verbotte», ergänzte er seinen Verkehrskundeunterricht.

 

Sollen Seniorinnen und Senioren Vorbilder sein? Auf dem Velo? Im Allgemeinen? Schwierig, unser Renommée als alte weisse Männer hat ja arg gelitten. Und sonstwo? Im Strassenverkehr zum Beispiel im Vergleich mit den Jungen? Ich seh den alten wackligen Nachbarn, der mit seinem Panzer-SUV die Chindsgi-Schar am Zebrastreifen missachtet. Ich seh aber auch auch den jungen Testosteron-Rüpel der mit seinem Geschoss röhrend durch die 30er Zone braust.

 

Manche Seniorinnen und Senioren sind Ampelskeptiker. Auch der Kolumnist. Wohlverstanden: nur wenn keine Gefahr droht. Vorbild ist er dann allerdings nicht.

 

Wirklich, ich bin ein sehr gemässigter Ampelskeptiker. Trotzdem werde ich, so scheint mir, überdurchschnittlich oft von Laienverkehrserziehern zurechtgewiesen, vor allem von ebenfalls alten. Ihr Ton ähnelt oft jenem des erwähnten Bümplizer Sittenwächters: Sie schimpfen, sie schreien. Bei mir, einem alten Mann, geschieht dies häufiger als bei jungen Leuten. Bei einem harmlosen Senior wagen die Überwacher wohl eher die harte Tour, als wenn ein junger Wilder vorbeibikt.

 

Manchmal juckts mich, doch getraut habe ich mich noch nie, den Hütern des heiligen Rotlichts meine Sicht zu erklären. Nämlich, dass ich, grosses Velofahrer-Versprechen, die erleuchteten Weisungen der Strassenverkehrsordnung nur dann missachte, wenn ich weiss, dass ich niemanden, nicht mal mich selber gefährde.

 

Nachgefragt: Wie stehen wir Seniorinnen und Senioren zur Mikro-Delinquenz?

 

Ach ja. Sich ein bisschen danebenbenehmen schadet niemandem. Beim Rotlicht, beim Parken, beim Schwarzfahren, bei der Self-checkout-Kasse im Migros oder, wir sind ja unter uns, bei der Steuererklärung.

 

Oh nein. Wer, wenn nicht wir, soll Vorbild sein? Auch wenn niemand hinschaut. Nur ein ruhiges Gewissen ist ein gutes Seniorenkissen. Nur Grosseltern, die niemals vom rechten Pfad abweichen sind ein leuchtendes Beispiel für ihre Enkel.

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Der Kolumnist ist mit sich uneins. Soll er verwegen oder Vorbild sein? Die Ampel für den Zugang zu unserer Kommentarspalte steht auf grün − leider muss man weit nach unten scrollen.

Bild: AI Fotor, pst