seniorweb.ch, 21. Januar 2025
Kolonien: Heiri profitierte, Anna rebellierte
Was gestern gut war, ist heute schlecht. Und umgekehrt. Das zeigen die beiden Schicksale der Geschwister Heinrich und Anna. Die eine Geschichte spielt im Kongo, die andere im roten
Zürich. Kolonialismus vs. Sozialismus.
Mein Onkel Heinrich war Chefeinkäufer bei einem grossen Zürcher Warenhaus. Heiri reiste in den Fünfzigern und Sechzigern mehrmals im Jahr nach Belgisch Kongo, heute Demokratische Republik Kongo. Fotos zeigen ihn artgerecht gekleidet im weissen Anzug mit Tropenhelm. Die Familie beneidete ihn. Daran änderte sich auch nichts, als seine Firma 1946 einen der seltenen Schweizer Streiks auslöste. Die Angestellten wehrten sich gegen schlechte Löhne.
Weisse Familie in Afrika. Wandbild von Otto Baumberger im Bahnhof Wiedikon in Zürich. Heinrich geschäftete nicht für Jelmoli. Bilder: Privat, Schweizerisches Sozialarchiv.
Heinrich war der perfekte Darsteller für den späten Kolonialismus, jovial, wohlwollend, aber mit Grenzen gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Und Heiri war der gute Onkel. Als Afrika-Hinweis bekam ich als kleiner Bub ein schwarzes Bäbi. Ich nenne es hier das Megerli. Eigentlich hiess es anders. Weil es richtig geschrieben, Anstoss erregen würde, schreibe ich es hier falsch aber gegenwartskompatibel. Auch meine Mutter, seine Schwester, bekam Schönes aus dem Süden. Heiri beschenkte die gelernte Schneiderin mit exotischen Stoffen.
«Moskau einfach» sagten die Gegner zu Anna. Sie blieb
Heinrichs andere Schwester, Anna, erhielt von ihm keine Präsente. Denn Anna war Sozialistin. Äusserlich erkennbar war das an ihrer Kleidung, meist schwarz, weiter an den Zigaretten, auch schwarz. Und an ihrem Kaffeekonsum, ebenfalls schwarz. Anna, gläubige Linke, hatte während der Nazizeit geflüchtete Juden unterstützt.
Ihr Mann Fritz war angestellter Schuhmacher. Daneben besohlte er auch privat. Meine Mutter schickte mich mit reparaturbedürftiger Ware an die Zürcher Luggwegstrasse zur Genossenschaftswohnung von Fritz und Anna. Dort sah es anders aus als zuhause, irgendwie sozialistischer, mit Käthe Kollwitz an den Wänden. Da hing auch ein Wimpel des jüdischen Klubs Hakoah, wohl ein Präsent, eines Fussballers, der von Anna unterstützt worden war.
1946 streikten die Angestellten eines grossen Zürcher Warenhauses. Vizedirektor Heinrich arbeitete dort – streikte
natürlich nicht. Ob seine Schwester unter den Protestierenden war, ist nicht bekannt. Bild: Sozialarchiv
Bald nach dem Krieg bekam Anna zu spüren, was die Schweiz von den Roten hielt. Sie galten als unser Verderben. Man war sich einig, dass man die kommunistische Welle aufhalten und bekämpfen musste. Anna hatte zwar noch einen Bonus, weil sie Geflüchteten geholfen hatte. Doch in den Fünfzigern und Sechzigern eskalierte der Kalte Krieg. Er stempelte Anna zur Aussenseiterin und reihte sie bei jenen vermeintlichen Landesverrätern ein, die man mit „Moskau einfach“ ostwärts rauswerfen wollte.
Weil Anna nie in der Öffentlichkeit stand, blieb sie von den Schmutzkampagnen verschont, die bekennende Kommunisten zu erleiden hatten, Heinrich Buchbinder etwa oder der Buchhändler Theo Pinkus. Anna war keine Heldin. Im Laufe der Jahre gesellte sie sich zu den braven Schweizer Sozialdemokraten. Aufmüpfig blieb sie und engagierte sich ab1960 in der Anti-Apartheid-Bewegung. Anna starb anfangs der Siebzigerjahre, etwa zur gleichen Zeit wie ihr Bruder Heinrich.
Da haben wir also die zwei Protagonisten der beiden Geschichten: Heinrich und Anna. Beide hatten ihre aktivsten Jahre in den Fünfziger-und Sechzigerjahren.
Einst
Heiri galt damals als welterfahrener geschäftstüchtiger Erfolgstyp mit Renommée.
Anna galt damals als irregeleitete rote Volksfeindin und Landesverräterin.
Heute
Heiri gälte heute als Ausbeuter und Kolonialismus-Profiteur.
Anna gälte als aufrechte Kämpferin gegen Unterdrückung und Misshandlung.
Was gestern gut war, ist heute schlecht. Und umgekehrt.